Rasheed, Leila
zusammen.
Als Rose durch den Dienstbotengang lief, hörte sie Martha, die die Küche putzte, mit Tobias tratschen.
»Dann ist also die Sache mit dem Rücktritt von Lord Westlake nicht ganz astrein? Schau mal einer an! Wenn er das nächste Mal die Hausandacht hält, werd ich daran denken«, sagte Martha.
»Das wurde aus dem Gerede ziemlich klar, würde ich sagen«, antwortete Tobias. »Klingt, als hätte er Dreck am Stecken. Ich frage mich, ob Mrs Templeton das weiß?«
Rose ging schneller. Marthas Arbeit war hart, aber sie war auch sehr boshaft. Rose versuchte, nicht weiter über das Gehörte nachzudenken, lief die Dienstbotentreppe hoch und öffnete die Tür zum zweiten Stockwerk. Sie prallte zurück – direkt vor ihrer Nase stand eine junge Inderin in Dienstbotenuniform. Das Mädchen sog ebenfalls scharf die Luft ein und knickste.
Rose lachte. »Vor mir brauchst du nicht zu knicksen.«
»Tut mir leid, Miss. Ich bin nicht sicher – ich wusste nicht – ich habe mich verirrt.« Rose hatte noch nie einen so dunkelhäutigen Menschen gesehen; die Augen des Mädchens glänzten wie die polierten Mahagonimöbel im Salon. Rose bemühte sich, sie nicht anzustarren.
»Wer bist denn du? Bist du mit der Familie aus Indien gekommen?«, fragte sie.
»Ja. Ich heiße Priya und bin das Kindermädchen – aber ich kann das Kinderzimmer nicht finden.« Sie lachte ein bisschen, doch ihre Stimme klang weinerlich. »Alles ist so neu hier. Und ich weiß nicht, mit wem ich reden darf.«
»Du Arme! Ist alles halb so wild, ich zeige dir den Weg.« Rose schob Priyas Hand unter ihren Arm und machte sich auf den Weg zum Kinderzimmer. »Ich bin Rose. Mit mir kannst du auf jeden Fall reden, ich bin die Zofe der jungen Damen.«
Priya sah sich verschüchtert um, während sie durch die Gänge liefen. »Ich weiß nicht, wie ich mich hier je zurechtfinden soll … Sag mal, ist der kleine Augustus immer so ungezogen?«
»Ja! Ich beneide dich nicht um deine Arbeit«, sagte Rose mit tiefempfundenem Mitgefühl. »Aber hat dich denn niemand durchs Haus geführt?«
Priya seufzte. »Ich wollte jemanden in der Küche darum bitten, aber als die Köchin mich sah, hat sie so zu kreischen angefangen, dass ich dachte, ich geh lieber.« Sie fing Roses Blick auf, und beide begannen zu kichern.
»Tut mir leid, ich sollte nicht lachen«, brachte Rose mit Mühe heraus, »aber ich kann mir die Köchin so gut dabei vorstellen! Hat sie was fallen lassen?«
»Ja, die Hühner!« Priya schlug sich die Hand vor den Mund. »Aber die wurden trotzdem serviert, da bin ich sicher!«
»Ach, das ist doch halb so schlimm. Das hat ja niemand gemerkt, und es hat auch niemandem geschadet.«
Rose verabschiedete sich von Priya an der Tür zum Kinderzimmer. Das Mädchen lächelte sie erleichtert an. »Danke! Ich hoffe, wir sehen uns wieder.«
»Das hoffe ich auch.« Rose fragte sich, ob ihre Hoffnungen erfüllt würden. Sie waren beide sehr beschäftigt, und es gab wenig Gelegenheit, Freundschaften zu schließen und Freunde zu treffen. Sie vermisste Annie mehr denn je.
Einer spontanen Eingebung folgend, ging sie über die Haupttreppe zum Ostflügel. Das durfte sie ja nun, bestärkte sie sich. Sie brauchte nicht mehr wie eine Maus im Dienstbotengang hinter der Vertäfelung herumzuhuschen. Aber sie wusste auch, dass sie hier nicht wirklich zu Hause war. Sie hatte kein Recht zu tun, was sie vorhatte. Und obwohl sie es schon hunderte Male getan hatte, blieb ihr wieder das Herz fast stehen, als sie die Tür zum Musikzimmer öffnete.
Seit die jungen Damen in den Räumen auf diesem Gang schliefen, war ihr jede Chance zu einem Besuch im Musikzimmer genommen. Früher war es anders gewesen, als das Klavier noch mit einer Staubdecke abgedeckt und der Teppich zusammengerollt gewesen waren. Aber jetzt hatte sie hier nichts mehr zu suchen.
Auf dem Klavier lagen Notenblätter verstreut, und ein gemütlicher Sessel war an den Notenständer gerückt worden. Jemand hatte den Klavierhocker verstellt, er hatte nicht mehr die passende Höhe für sie. Der Klavierdeckel war hochgeklappt. Der Raum hatte sich verändert, genau wie sie selbst.
Rose hätte sich auch früher nie hier aufhalten dürfen, das war ihr klar. Trotzdem tat es weh zu wissen, dass sie nie mehr herkommen konnte. Erst jetzt erkannte sie, was ihr diese gestohlenen Augenblicke bedeutet hatten, als sie in die Musik geflüchtet war, als ihre zögernden Finger auf dem Klavier halb vergessene Melodien zusammengesucht hatten,
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