Rasheed, Leila
meinst du nicht auch, meine Liebe?«
Charlotte schürzte die Lippen. »Nicht bei Worth, Mama, der ist démodé . Wer gut angezogen sein will, geht heute zu Poiret. Und nicht nur Ada, auch ich brauche eine neue Garderobe. Alle meine Ballkleider sind passé, Mode vom vergangenen Jahr.«
»Du hast recht wie immer, meine Liebe.« Fiona nahm Ada erneut unter die Lupe. »Ich habe beobachtet, wie du dich bewegst, und so geht das nun wirklich nicht. Du brauchst dringend Tanzunterricht.«
Ada errötete noch tiefer. »Ich kann tanzen«, protestierte sie.
»Nicht, wie es für einen großen Ball erforderlich ist. Deine Bewegungen verraten – hm – einen gewissen Mangel an Anmut, dafür aber eine Energie, die Männer sehr unattraktiv finden.«
»Nichts schlimmer als eine energische Frau«, murmelte Sebastian und warf Ada einen mitfühlenden Blick zu. Ada lächelte dankbar. Sie begann Sebastians Anwesenheit sehr zu schätzen.
»O je, dann werde ich wohl nie einen Mann finden«, sagte Georgiana erschüttert.
Da musste Ada doch lachen. »Unsinn, natürlich wirst du das.«
»Nun ja, irgendwann wird sich schon irgendwer finden, der Lord Westlake von dir befreit«, sagte Charlotte.
Ada verging das Lachen mit einem Schlag; plötzlich stieg Wut in ihr auf. Niemand durfte sich herausnehmen, mit ihrer geliebten Schwester so zu reden!
»Übrigens fand ich einen kultivierten Geist immer wichtiger als eine kultivierte Garderobe«, konterte sie.
»Du meine Güte, sag bloß nicht, du bist eine von diesen Suffragetten?« Charlotte lehnte sich angewidert zurück.
»Ich finde, dass Frauen das Recht haben zu wählen, wenn du das meinst.« Ada sah ihr scharf ins Gesicht.
Fiona blickte Ada von oben herab an. »Dürfte ich dich bitten, meine Liebe, in Gesellschaft darauf zu verzichten, solch vulgäre Ansichten zu vertreten?«, sagte sie. »Kein Mann will einen Blaustrumpf.«
»Sagten Sie Blaustrumpf?«, dröhnte William vom anderen Ende des Tischs. Er schwankte leicht und hatte Rotwein aufs Tischtuch verschüttet. »Ich erinnere mich noch gut, Ada. Immer die Nase im Buch.«
Ada wusste nicht, wo sie hinsehen sollte – nicht, weil es ihr peinlich war, als Leserin entlarvt zu sein, sondern weil sie sich dafür schämte, dass William so unübersehbar betrunken war. Er nahm weder die zornige Verachtung im Gesicht ihres Vaters wahr, noch Sebastians sarkastisches Lächeln. Ada krümmte sich innerlich. William mochte seine Fehler haben, aber er war immer noch ein Averley und warf mit seinem Benehmen ein schlechtes Licht auch auf sie und Georgiana.
Lady Edith schien nichts Peinliches zu bemerken. Sie hatte ihren Mops auf den Schoß genommen und turtelte mit ihm herum. Dann sah sie kurz hoch und sagte: »Also ich persönlich lese nicht. Das ermüdet das Gehirn.«
»Deins ganz bestimmt«, flüsterte Ada. Sebastian hob ihr fast unmerklich sein Glas entgegen, ein Lächeln in den Augenwinkeln. Aber Ada konnte sein Lächeln nicht erwidern. Plötzlich nahm die Saison bedrohliche Züge an. Ada bekam Angst, dass sie ihre Familie womöglich enttäuschen könnte. Wieso hatte sie nicht gewusst, dass ihre Kleider so aus der Mode waren, dass ihr Teint zu wünschen übrigließ und sie sich in etwa so elegant bewegte wie ein Kutschpferd?
Als sie sich vom Tisch erhoben, wandte sich Charlotte noch einmal an Ada. »Du hast sicher schreckliches Heimweh nach Indien«, sagte sie.
Ada fragte sich, ob sie ihre Bosheiten von vorhin ausbügeln wollte. Schließlich würden sie als Schwestern gut miteinander auskommen müssen. Sie beschloss, im Zweifelsfall das Beste von Charlotte anzunehmen.
»Das habe ich wirklich«, sagte sie aufrichtig. »Ich vermisse die Geräusche, die Farben, sogar die Gerüche …«
»Na, mach dir mal keine Sorgen.« Sie waren auf dem Weg nach nebenan in den Salon, während hinter ihnen die Männer ihre Zigarren anzündeten. Charlotte dämpfte die Stimme, als sie ihr im Durchgang ganz nahe kam. »Du bist vielleicht schneller wieder dort, als du ahnst.«
»Ich weiß nicht, wie du das meinst.«
»Was, glaubst du, machen die Mädchen, wenn die Saison für sie ein Fehlschlag war – wenn sie keiner haben will? Dann gehen sie nach Indien und versuchen dort ihr Glück.« Sie schenkte Ada ein strahlendes Lächeln und rauschte voran in den Salon; ihr kerzengerader Rücken und die funkelnden Pailletten auf ihrem Kleid kündeten von ihrem Triumph. Ada presste im heldenhaften Bemühen, ein sehr undamenhaftes Widerwort zu unterdrücken, die Lippen
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