Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Titel: Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
Vom Netzwerk:
Blick, einem Händedruck, einer besonderen Betonung in der Stimme, einem vertraulichen Augenzwinkern jeden x-beliebigen Fremden zu seinem engsten Verbündeten, ja, zu seinem intimsten Freund machen konnte, gelungen war, sich einen Feind zu schaffen. Nur einen einzigen, aber das reichte aus. Denn dieser Feind erwies sich als unversöhnlich und unbeugsam und gab niemals auf. Es handelte sich um das Gesetz.
    In der Konkursmasse Hinrichsens herrschte ein Missverhältnis zwischen Passiva und Aktiva, und ihm war der größte Teil seiner Schuldposten erlassen worden, kurz bevor er Konkurs ging. Lange war er den großen Kaufeuten in Hamburg und Altona, die er so fürstlich bewirtete, wenn die Silberkandelaber aus der ersten Etage ihren fackernden Schein auf die Brogade warfen, ungeheure Summen schuldig geblieben. Doch auf dem Papier schuldete er den Skippern und den einfachen Leuten, die er im Hotel Harmonien mit einer Flasche bayerischem Bier bewirtete, weit größere Summen. Bei den Kaufeuten in Norddeutschland handelte es sich jedoch um die wahren Gläubiger, die Skipper und Bürger Ærøskøbings waren es nur zum Schein. Sie bildeten ein Heer von Helfern, das verhindern sollte, dass irgendjemand Hinrichsens Eigentum hätte pfänden können, sollte der Tag des Konkurses einmal kommen. »Mitschuldig an Gläubigerbetrug«, stand in der Zeitung. Schuldscheine, Wechsel und Kaufverträge, auf denen die Unterschriften der halben Stadt standen, bezeugten alle dasselbe: Das Ganze lief auf die Namen anderer. Der arme Hinrichsen besaß selbst überhaupt nichts.
    Carl verstand nichts von all dem, obwohl er den ausführlichen Artikel auf der Titelseite so genau studierte, als könnte er sein eigenes Schicksal zwischen den Zeilen lesen. Nur ein Wort verstand er. Die Schlussfolgerung: Hinrichsen war ein Schwindler.
    Hinrichsen hatte den Bürgern der Stadt geschmeichelt. Sie müssten ihm aus einer mittelfristigen Klemme helfen. Er hatte ihnen zugezwinkert und sie spüren lassen, um welches Privileg es sich handelte, zu seinem Kreis zu gehören. So einen kleinen Dienst könnten sie ihm wohl erweisen. Er war doch der Wohltäter der Stadt. Eine einzige Unterschrift hätte doch keine so furchtbaren Konsequenzen. Vielleicht hatte er sich auch ein wenig erkenntlich gezeigt, als Gegenleistung für ihre Hilfsbereitschaft.
    Und plötzlich hatte sie Panik ergriffen.
    Eine Untersuchungskommission wurde eingesetzt. Die Amtmänner Arnesen und Smith kamen aus Augustenborg und Gråsten mit der Befugnis, Verhöre vorzunehmen und Arrestbefehle auszustellen. Ihnen folgte ein Heer norddeutscher Gläubiger, und war der Fall erst verhandelt und das Urteil gefällt, dann würden die beiden Amtmänner wie Generäle an der Spitze eines blutrünstigen Haufens von Söldnern den Gläubigern das Recht geben, die besiegte Stadt auszuplündern.
    »Ja sicher, ich ließ mich beschwatzen«, sagte der Barbier, »aber ich sitze nicht so in der Patsche wie der Spengler.«
    Die Schreiber des Stadt- und Landgerichts schüttelten vor den Amtsstubenbevollmächtigten die Köpfe, der Kammerassessor verwies auf den Zollbevollmächtigten, Pastor Fabricius befriedigte seine Rache, als er behauptete, Postmeister Kaffka, dessen hässliches Gemälde von der Grablegung Jesu er in seiner Kirche hatte tolerieren müssen, wäre noch weit mehr in die Angelegenheit verwickelt als er.
    Alle hatten ihre Unterschrift unter Dokumente gesetzt, von denen sie genau wussten, dass sie nicht ganz mit der Wirklichkeit übereinstimmten. Über die Konsequenzen hatten sie nicht nachgedacht. Sie hatten es für die Stadt getan. Schließlich war Hinrichsen der erste Mann der Stadt. Nun riss er sie mit in seinem Fall. Honette Bürger waren sie alle. Und beinahe unschuldig.
     
    Schneidermeister Rasmussen wurde nicht erwähnt. Selbst das Gerede der Leute, das doch sonst aus unversiegbaren Quellen zu schöpfen schien, vermochte nicht alle Namen zu nennen.
    Aber Carl brauchte den Namen seines Vaters nicht zu hören. Er hatte seine Mutter vor dem glühenden Kachelofen und den Vater mit der Schaufel in der Hand unter dem Apfelbaum gesehen. Einen Moment lang hatte er geglaubt, die gesamte Stadt hätte den Verstand verloren, dann hatte er eine Eintrübung des eigenen Gehirns vermutet.
    Und nun erwies sich einfach alles als Schwindel.
     
    Die Gläubiger kamen. Ganze Wagenladungen wurden aus dem ehemaligen Rentmeisterhof abtransportiert. Hinrichsen hatte einen vollen Kopfkissenbezug hinter einem Hain gestutzter

Weitere Kostenlose Bücher