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Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Titel: Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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seines eigenen Geistes.
    Sein Motiv wartete dort draußen auf ihn, noch immer unberührt, doch wie lange noch? Er hatte ja seinen Ort, aber wie lange hatte er ihn noch für sich? Italien, sagten alle, du musst nach Italien. Sogar Frisch erklärte es ihm, obwohl er nie über den Dyrehave hinausgekommen war.
    »Nun musst du weiterkommen«, sagte Holm. Aber er meinte damit etwas anderes, etwas Grundsätzlicheres: Jetzt hast du ein letztes Mal aus der Tür der Manufakturhandlung Ottensen zu treten. Carl wagte es nicht. Der Schneidersohn in ihm widersetzte sich. Als Künstler wollte er gern weiterkommen, aber im entscheidenden Augenblick blieb er dennoch auf der Stelle stehen. War sein Traum stark genug? Konnte er riskieren, den festen Boden unter den Füßen zu verlieren?
    Er zögerte und Henrietta sagte ihm, es hätte keinen Sinn, allzu lange zu zögern. Wenn es um ihn ging, war sie verwegen. Sie wollte, dass er große Dinge tat, und große Dinge erforderten Mut. Sie hatte keinen Vater und eigentlich auch keine Mutter mehr. Sie hatte zu ihrem eigenen Vater, ihrer eigenen Mutter werden müssen, als sie gerade mal ein großes Mädchen war, und nun wollte sie, dass er das Gleiche tat.
    »Du musst, Carl«, sagte sie, »du musst.«
    Ihre kobaltblauen Augen wurden beinahe schwarz.
    Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn, nicht wie eine Mutter, sondern prüfend. Ob sie ihn eines Tages auch auf den Mund küssen würde? Er fühlte beides in diesem Augenblick verschmelzen und eins werden:. das Versprechen, das sich in diesem Kuss verbarg, und sein Traum, Künstler zu werden.
     
    Was sollte er seinem Vater sagen? Er hatte den Malkasten mitgenommen, als er nach Kopenhagen aufbrach, doch er hatte es aus kindlichem Trotz getan. Er hatte den Vater nur ärgern, nicht aber herausfordern wollen, wie ein Erwachsener es hätte tun können.
    »Ich werde nicht bei Ottensen bleiben«, erklärte er, als er während des Weihnachtsurlaubs seine Eltern in Ærøskøbing besuchte.
    »Du willst also davonlaufen«, sagte der Vater resignierend.
    Carl sah ihn gespannt an. Er bereitete sich auf einen Zusammenstoß vor, der unweigerlich kommen musste. Aber der Vater schwieg. Sein Tonfall hatte alles gesagt.
    Nichts anderes hatte er von seinem Sohn erwartet. Verrat erwartete er von der ganzen Welt, nichts anderes als Verrat. Er hatte an die vornehmen Familien und den Glanz geglaubt, der von ihnen ausging. Nun war dieser Glanz verschwunden und damit seine besten Kunden. Man hatte ihn im Stich gelassen. So sah die Bilanz seines Lebens aus. Nicht einen Moment fragte er sich, ob er sich aus Hinrichsens Hasardspiel hätte heraushalten sollen, bei dem die ganze Stadt als Einsatz gedient hatte. Stattdessen zog er sich aus dem Leben zurück, gekränkt von dessen Zurückweisungen.
    Carls jüngere Brüder hatte er bereits aus dem Haus geschickt. Obwohl sie erst elf, zwölf und dreizehn Jahre alt waren, mussten sie sich ihre Mahlzeiten selbst verdienen. Einer lebte auf Falster, der andere auf Langeland und der Jüngste auf einem Hof im Westen Ærøs. Es schien, als hätte er es aufgegeben, irgendwelche Zukunftspläne für seine Kinder zu schmieden. Auch das sonntägliche Ritual fand nicht mehr statt.
    Die Mutter lief unruhig umher, wie eine Katzenmutter, die in allen Ecken nach ihren ersäuften Kätzchen sucht. Die verbliebenen Kinder überschüttete sie mit einer Zärtlichkeit, als würde sie mit ihnen Abschied von ihrer Rolle als Mutter nehmen. Vor zwei Jahren war sie das letzte Mal niedergekommen. Längst hätte sie wieder ein Kind erwarten sollen; aber den schleppenden Schritten des Schneidermeisters nach zu urteilen, würde die jüngste Schwangerschaft die letzte bleiben. Den hübschen Gürtel, den sie gewöhnlich in den Pausen zwischen den Schwangerschaften anlegte, um die Rückkehr ihrer Taille zu feiern, trug sie entgegen ihrer früheren Gewohnheit nicht.
    Für den Vater würde die Geschichte niemals ausgestanden sein. Carl erkannte es, als er ihm gegenüber saß und verkündete, dass er den Zukunftsplänen seines Vaters nicht zu folgen beabsichtigte.
    »Du kannst tun, was du willst. Hauptsache, du fällst deiner Familie nicht zur Last«, sagte der Vater und kratzte sich an der Warze.
    Er blickte Carl prüfend an.
    »Hast du etwa einen neuen Wohltäter gefunden, einen neuen Hinrichsen?«
    Hohn lag in seiner Stimme, und Carl begriff plötzlich, dass ein Fiasko dem Vater nicht unlieb wäre.
    »Ich komme schon zurecht«, erwiderte er, hörte aber

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