Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
Geschmack in seinem Hals und einen Geruch, den er nicht zuordnen konnte,
der Geruch eines penetranten Parfüms oder Ähnlichem. Er schob den vagen Eindruck
beiseite und schob die Beine aus dem Bett. Zum Heraushechten reichte es noch nicht,
hatte es aber nie getan in den letzten Jahren, in denen er beständig zugenommen
hatte. Er streifte wie ein vormals betäubter Wolf durch die Wohnung, sortierte seine
trüben Gedanken, kratzte sich am Kopf und hielt einen Augenblick inne. Er konnte
nicht in Worte fassen, was er empfand. Irgendetwas störte ihn. Er fühlte die Anwesenheit
von etwas Fremdem, etwas Eigenartigem, was zuvor nicht da gewesen war. Er blickte
im Wohnzimmer umher und bemerkte nichts Sonderbares. Alles lag an seinem Platz,
wo es die letzten Tage gelegen hatte. Fehlte etwas? Wieder sah er sich um, blieb
stehen und rekapitulierte den vorigen Tag, bevor er sich ins Koma gesoffen hatte.
Berlin, Ingeborg, die Täter, die Opfer, die neuen Unterlagen. Das war es: die ausgedruckten
und mit Liebe zusammengehefteten Papiere aus dem Bundesarchiv waren verschwunden.
Wieso war ihm dies nicht sofort aufgefallen? Er war sich sicher, dass er sie am
Abend auf dem Tisch zwischen den überfüllten Aschenbecher und drei leeren Dosen
Budweiser abgelegt hatte.
Stattdessen
lag dort etwas, von dem er sicher war, dass er es nicht dort hingelegt hatte. Nie
käme er auf den Gedanken, Derartiges von der Straße oder dem Schotterweg eines Parks
aufzuheben, da er jene, die sich damit kleideten, nicht mochte. Weder in Ecuador
noch in Deutschland waren sie beliebt und galten als Ratten der Lüfte, als Überträger
von Krankheiten. Nur Kinder waren so töricht, eine Feder aufzusammeln und mit in
die Wohnung zu nehmen.
Nun wurde
ihm schlagartig bewusst, was geschehen war, während er selig seiner Gesundung entgegengeschlafen
hatte. Jemand musste in seiner Wohnung gewesen sein. So unauffällig, professionell
und zielstrebig, dass er, Martin, dafür eine Ohrfeige verdient hätte. Martin eilte
zur Wohnungstür und fand sie verschlossen vor. Nur verschlossen, nicht jedoch mit
der zusätzlichen Kette verriegelt, die er nach dem letzten Einbruch hatte anbringen
lassen.
Hatte er
sie nicht vorgelegt, als er nach langer und ermüdender Fahrt zurückgekommen war?
War er tatsächlich so fertig gewesen, dass er nicht dem Urinstinkt nach Selbstschutz
nachgegeben hatte? Er war bisher kein furchtsamer Mensch gewesen, hatte wahrscheinlich
daher die Kette ignoriert und den Schlüssel zwei Mal im Schloss herumgedreht. Danach
hatte er sich gleich der Nacht zugewendet.
Es war jemand
in seiner Wohnung gewesen, und dieser Jemand hatte etwas mitgenommen, aber vor allem
eine Menge zurückgelassen: den Geruch von widerlichem Eau de Toilette oder Rasierwasser,
die weiße, makellose Feder einer Taube oder eines ähnlichen Vogels. Hinzu kam ein
Empfinden, das ihm nie besonders vertraut gewesen war und nun, nach dem, was in
den letzten Tagen passiert war, Besitz von ihm ergriff: Angst. Das Gefühl, nicht
vollständig Herr der Lage zu sein, verunsicherte ihn. Was hatte der Eindringling
in seiner Wohnung gewollt? Ja, die Unterlagen aus Berlin waren verschwunden, doch
es würde ihn nur einen Anruf oder die Fahrt nach Berlin kosten, sie wieder zu beschaffen.
Das allein würde das hohe Risiko eines Einbruchs nicht rechtfertigen. Er hätte aufwachen
können, den Täter identifizieren, ihn mit seiner Dienstwaffe, die neben ihm am Kopfende
lag, zur Strecke bringen können.
Hätte, hätte,
hätte.
Martin wusste,
dass er auf der ganzen Linie versagt hatte. Als Bulle, als Ermittler einer Sonderkommission
und als Mann. Jemand anderes hatte, während er schlief, die Zügel in die Hand genommen,
Macht über ihn und den Fall erlangt, und dies durfte er auf keinen Fall zulassen.
Und wer war dieser Jemand? Derselbe, der schon einmal bei ihm eingebrochen hatte,
und derselbe, der die Prozessteilnehmer liquidierte? Oder ein Fremder, der mit dem
Fall gar nichts zu tun hatte, doch warum sollte er dann die Unterlagen stehlen wollen?
Warum, um alles in der Welt, hinterließ er eine weiße Feder am Tatort?
Martin setzte sich im Pyjama auf
das Sofa und dachte nach. Den Gedanken, dass der Einbrecher, wenn es der Mörder
all der anderen Menschen war, ihn mühelos hätte töten können, ließ er mit Widerwillen
an sich heran. Derselbe Mann, der ohne Skrupel andere Leute aus dem Weg geräumt
hatte, hätte auch ihn umbringen können, doch er hatte es nicht getan.
Martin schnaufte
und
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