Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
Befinden des Patienten widerspiegelte.
»Meine Herren,
ich muss Sie bitten zu gehen. Herr Lorenz hat sich aufgeregt. Das kann in seiner
momentanen Situation tödlich sein. Keinen Stress, bitte.« Die Schwester bedachte
Martin und Werner mit einer unmissverständlichen Kälte, die ihnen den sofortigen
Abgang nahelegte.
»Okay, Chef.
Wir gehen dann mal wieder«, sagte Martin. Werner stellte sich neben Lorenz, legte
ihm die Hand auf die Schulter und ließ alle Menschlichkeit, die er besaß, in Lorenz
hineinfließen. »Gute Besserung, Chef. Sie schaffen das. Ganz bestimmt. Wir melden
uns, sobald wir können, okay?«
Lorenz nickte
und hob mit Mühe die rechte Hand zum Abschied. Martin wischte sich verstohlen eine
Träne aus dem Auge. Ob diesem Abschied ein neuer Gruß folgen würde, war fraglich,
und so verließen Martin und Werner das Zimmer mit einem mulmigen Gefühl im Magen.
Die Fälle, in denen Martin und Werner Menschen vom Tod eines nahen Angehörigen unterrichten
mussten, waren ungezählt und kosteten mehr Kraft und Einfühlungsvermögen, als man
zur Verfügung hatte, doch die Aussicht, einen Chef zu verlieren, der viel mehr war
als ein Vorgesetzter, verursachte Gefühle, die ihnen vollkommen neu waren.
Nachdem
sie das Klinikgebäude verlassen hatten, atmete Martin wie jemand, der nach einem
Tauchgang an die Oberfläche zurückkehrte. »Hör zu, Werner. Ich weiß nicht, wie es
dir geht, aber ich brauch jetzt einen Schnaps, sonst kann ich für den Rest des Tages
nicht mehr klar denken.«
Werner bedachte
Martin mit einem verstehenden Blick. »Ich kenn eine Studentenkneipe zwei Straßen
weiter. Ich könnte etwas zu essen vertragen.«
»Ein Schnaps
hilft besser, glaub mir.«
»Na, mal
sehen.«
Die beiden
Beamten ließen das Gelände des Universitätskrankenhauses hinter sich und parkten
zwei Minuten später in der Geschwister-Scholl-Straße in Hamburg-Eppendorf. Dort
gab es eine Kneipe, die weithin für günstige Preise trotz großer Portionen auf den
Tellern bekannt war. Martin bestellte ein Bauernfrühstück mit Kartoffeln, Speck
und Eiern und Werner einen Salatteller und eine Cola. Den Schnaps ließ Martin weg,
orderte stattdessen ein Bier. In der Zwischenzeit, während sie warteten und nicht
über die verstörende Begegnung mit Lorenz sprechen wollten, hing jeder seinen Gedanken
nach. Martin sah sich in der Kneipe um. Ein typisches Studentenlokal, in dem man
sich am Abend zusammenfand, um über die Anstrengungen des Studiums bei ein oder
zwei Bierchen zu lamentieren. Rechts neben Martin war eine Wand mit Bierdeckeln
aus der ganzen Welt beklebt. Viele dieser Deckel hatte er auch schon vor sich liegen
gesehen, während er das Glas in der Hand gehalten, auf den durchweichten Teil des
Papiers gestarrt und über den Sinn oder Unsinn des Lebens nachgedacht hatte.
»Ich fühl
mich beschissen«, sagte Martin und beendete die Stille. »Ich frage mich, wieso Lorenz
überhaupt einen Herzinfarkt bekommen konnte. Er hatte doch diese Pillen und das
Spray in Reichweite. Wenn er sich an die Anweisungen von seinem Arzt gehalten hat,
konnte eigentlich nichts passieren.«
Martin ordnete
sein dichtes Haar und fasste es erneut mit einem Gummiband zusammen. Mit einem gewissen
Neid betrachtete ihn Werner, dem ein dünner, auf zwei Millimeter Länge gekürzter
Haarkranz geblieben war.
Martin stellte
sein Glas nach einem Schluck Bier ab. »Was hat Lorenz damit gemeint, wir hätten
mächtige Leute gegen uns? Die ganze Geschichte nimmt allmählich Ausmaße an, die
man kaum überblicken kann. Alle Generationen von Schöllers Sippe unter einem Dach.
Wie sollen wir in diesem Fall weiterkommen, wenn Klaus alles blockiert?«
»Um auf
deinen Verdacht zurückzukommen …«, entgegnete Werner. »Ich bin kein Freund von Verschwörungstheorien
oder diesem Zeug, aber was wäre, wenn man Lorenz tatsächlich aus dem Weg räumen
wollte? Ist es nicht ein Leichtes, die richtigen Pillen gegen unwirksame auszutauschen,
die genauso aussehen? Man würde bei einem Angina Pectoris-Anfall zwar eine Pille
schlucken, aber sie würde nichts nützen. Man bekäme einen Infarkt, den man nicht
oder nur knapp überlebt.« Werner sah Martin erwartungsvoll an, ob er dieser Theorie
etwas abgewinnen konnte.
»Du spinnst.
Nur, damit es Klaus auf Lorenz’ Sessel schafft.«
»Aber ab
jetzt kann er alle Informationen in die Richtungen schleusen, die er will.
Du hast selbst gesagt, dass die Hälfte vom Fax fehlt. Das wäre nicht der erste Fall,
der nicht gelöst
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