Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
Fliesen herab. Italienischer
Carrara-Marmor, der mit Sicherheit ein Vermögen gekostet hatte.
»Das ist
Hausfriedensbruch!«, rief Fürst. »Ich rufe die Polizei!«
Martin schüttelte
seine Jacke ungehemmt aus und ließ es weiter tropfen. »Falls Sie es noch nicht kapiert
haben sollten – wir sind die Polizei, und Sie werden uns jetzt auf der Stelle Rede
und Antwort stehen, sonst nehmen wir Sie mit aufs Revier, auch an Ihrem Geburtstag«,
fügte Martin betont hinzu.
Fürst begriff
nicht den Ernst der Lage. Martin half ihm auf die Sprünge. »Wir sind nicht nur hier,
weil wir Fragen an Sie haben, sondern weil Sie in diesem Fall einer der Verdächtigen
sind.« Fürst stockte der Atem, und in diesem Moment tauchte jemand hinter ihm auf,
von dem sie sofort wussten, um wen es sich handelte. Der Mann, der dem Alten zu
Hilfe kam, war sein perfektes Ebenbild, nur 40 Jahre jünger. Dieselben Augen, dieselben
hohen Wangenknochen, dasselbe beneidenswerte Charisma.
»Was ist
hier los, Vater?« Maximilian Fürst wandte sich den Beamten zu. »Was fällt Ihnen
ein, gegen den Willen meines Vaters hier hereinzuplatzen? Übersteigt das nicht Ihre
Kompetenzen?«
Martin überlegte.
Mit langen, seidenweichen Erklärungen würde er in diesem Moment keinen Schritt weiterkommen.
Er musste gleich zu Beginn einen Treffer landen, einen, der den Gegner zu Boden
schicken würde.
»Wir ermitteln
in einem, genauer gesagt, in mehreren Mordfällen, und Sie und Ihr Vater stehen unter
dringendem Verdacht, in diese Geschichte verwickelt zu sein.« Während das Kinn des
Seniors noch weiter entgleiste und jegliche Farbe aus seinem Gesicht wich, begann
Fürst junior hysterisch zu lachen. Er hampelte von einem Fuß auf den anderen und
strich das schüttere Haar zurück. Sein Vater blieb stumm wie ein Fisch, schnappte
nach Luft und stützte sich an der Wand ab. Er schien jeden Moment das Gleichgewicht
zu verlieren. Maximilian Fürst ignorierte die Schwäche seines Vaters. Die kühne
Behauptung von Martin hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Beide Männer waren von
einer Sekunde auf die andere ihrer Autorität beraubt und rangen, jeder auf seine
Weise, um Fassung.
»Was reden
Sie da?«, fragte der Alte verzweifelt. »Wieso sollen wir etwas damit zu tun haben?
Wie kommen Sie bloß darauf? Haben Sie irgendwelche Beweise oder sind das nur haltlose
Vermutungen? Wir kennen die Opfer doch gar nicht!«
Martin sah
an Maximilians Schulter vorbei zu dessen Vater.
»Wäre es
für Ihren Vater nicht besser, wenn er sich setzen würde?«
»Ja, sicher.«
Hektisch, beinahe fahrig, führte Maximilian Fürst die beiden in einen nahe liegenden
Raum des Hauses. Er schloss hinter sich und seinem Vater die Tür und sperrte somit
das Gelächter der Gäste und die Musik aus. Der Raum schien als Arbeitszimmer zu
dienen, die Regale waren mit medizinischen Büchern prall gefüllt. Ein Laptop stand
auf dem Tisch und drei Dokumentenordner lagen daneben. An irgendetwas Wichtigem
war sogar an einem Geburtstag gearbeitet worden. Fürst deutete den Beamten, auf
zwei Ledersesseln Platz zu nehmen, und setzte sich ebenfalls. Der rüstige Greis
hatte, seitdem Martin jenen gewagten Vorstoß getan hatte, nichts mehr gesagt. Nun
stützte er sich an den Lehnen ab und ließ sich auf einen Stuhl fallen, der ihm eine
aufrechte Haltung sichern würde. Er saß etwas höher als die Beamten und blickte
sie von oben herab an. Dann fragte er ruhig und sachlich: »Bitte fangen Sie noch
einmal von vorn an. Was genau führt Sie zu uns? Ich werde Ihnen für 15 Minuten Gelegenheit
geben, Ihre haltlosen Äußerungen zu erklären. Danach verlassen Sie bitte wieder
unser Haus.« Der Alte wirkte wie ein Patriarch und hatte sich wieder im Griff, was
man von seinem Sohn nicht behaupten konnte. Maximilian Fürst knibbelte an dem Zipfel
eines Kissens, das neben ihm lag. Eine Geste der Nervosität, die jedem Kriminalbeamten
im ersten Lehrjahr auch ohne fundierte psychologische Kenntnisse bewies, dass die
Körpersprache wesentlich ehrlicher war als die Laute der Stimmbänder.
Werner lehnte
sich vor, um sich aus der Senke des Sessels zu erheben. »Na gut. Um es kurz zu machen:
Sechs Menschen, die vor 70 Jahren in einem Lebensbornheim zur Welt gekommen sind,
haben vor zwei Jahren einen Prozess geführt, in dem es um den Versuch ging, eine
Art Wiederherstellung ihrer Identität zu erhalten. Menschen, die nach dem Krieg
ihres Namens beraubt wurden, bei Pflegeeltern, Adoptiveltern oder in Heimen aufgewachsen
sind
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