Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
die Wahrscheinlichkeit
am Abend größer, den, den man überraschen wollte, zu Hause anzutreffen.
»Was hast
du über Fürst in den Akten gefunden?« Werner hielt den Blick auf die dunkle Straße
gerichtet. Die Wischblätter erzeugten hässliche Schlieren auf den Scheiben.
»Eine paar
Seiten fehlen mir. Ich bin sicher, Schöller hat sie aus dem Stapel aus Berlin rausgenommen.
Einen Eintrag hab ich trotzdem gefunden. Den muss er übersehen haben. Und zwar,
dass Fürst als Zeugungshelfer mit zwei Frauen geschlafen hat. Geburt der Kids in
Steinhöring. Wo sonst? Ich habe die Namen der Frauen und der Kinder noch nicht gefunden.
Wie wär’s, wenn uns Fürst das heute Abend selber erzählt?«
Martin gab
die Adressdaten von Dr. Richard Fürst in das
Navigationsgerät
ein.
»’Bisschen
dürftig, findest du nicht?«
Martin blickte
aus dem Fenster. „Nicht unbedingt. So, wie ich das sehe, muss dieser abgehalfterte
Architekt, Bernd Schäfer, eines seiner Kinder gewesen sein. Möglicherweise auch
Rohdenstock. Keine Ahnung. Aber Pokern gehört ja zum Spiel, oder?“
Der Weg
von Blankenese nach Altona war nicht weit, und sie würden in weniger als 15 Minuten
dort sein und einigen Leuten den Abend vermiesen. Wieder einmal verhielt es sich
so, dass die väterliche Familie und die des Stammhalters auf ein und demselben Anwesen
residierten. Der Clan durfte ein Grundstück von sieben Hektar sein Eigen nennen
und dies in unmittelbarer Nachbarschaft zu der von Dr. Richard Fürst in den Sechzigern
gegründeten Privatklinik. Der alte Mediziner verfügte trotz seines hohen Alters
über eine erstaunlich gute Gesundheit. Die Fotos und die Vita von Dr. Fürst sowie
die Entstehungsgeschichte der Klinik waren auf der professionell gestalteten Homepage
zu bewundern. Auf der ersten Seite imponierte ein groß gewachsener Mann mit einem
markanten Kinn, welches an Kirk Douglas erinnerte. Laut Informationen überwachte
er noch täglich die Klinikgeschäfte. Sein Sohn, Dr. Maximilian Fürst, war mittlerweile
Chefarzt der Inneren und der Kardiologie und sollte in Kürze zum Klinikchef avancieren,
sobald sein Vater ihm den Sessel des Häuptlings überlassen würde. Fürst senior hatte
den endgültigen Ausstieg aus allen Geschäften zum Jahresende angekündigt. Somit
rückte für den Junior, der auf die 50 zuging, das doppelte Einkommen in greifbare
Nähe. Eines nicht allzu fernen Tages würde er alles erben, denn außer ihm gab es
niemanden, mit dem er teilen musste. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt besaß er mehr
Geld und Immobilien, als es für einen Menschen förderlich war. Das Geschäft mit
dem Leben der Patienten florierte seit vielen Jahren. Vollständiger Gesundheit nachzujagen,
war zu einer Religion geworden, innerhalb derer er den Guru allzu gern mimte.
Die Straßen
Hamburgs waren wie üblich verstopft, sodass Martin und Werner nur im Schritttempo
vorankamen. Sie hätten das Martinshorn aufs Dach stellen und an der Schlange vorbeiziehen
können, doch da es sich nicht um einen akuten Notfall handelte, blieb ihnen diese
Option verwehrt. Was ein Notfall war und was nicht, lag im Ermessen der Polizisten.
Hätte man Martin gefragt, wäre Gefahr im Verzug gewesen, und ein Irrer, der in Hamburg
die Leute abschlachtete, rechtfertigte seiner Meinung nach ebenfalls die Sirene
und das Blaulicht. Aber man fragte ihn ja nicht. Wenn überhaupt, fragte man Schöller
und nicht ihn. In der Hackordnung befand er sich eine Stufe unter Klaus Schöller,
und dies ließ man ihn auch spüren.
Während
sie in der von zahllosen Lichtkegeln durchbrochenen Dunkelheit ihrem Ziel entgegensteuerten,
hing Martin seinen Gedanken nach. Wie viele Welten zwischen dem Leben in Ecuador
und dem in Hamburg lagen, war kaum zu zählen. Er dachte an das Hotel, das er fast
zwei Jahre mit Erfolg geführt hatte. Hinter dem Haus begann der Dschungel, der mit
einer Vielzahl von Geräuschen angefüllt war, die man nur dann, wenn man sich zwischen
Wachen und Schlaf befand, als Lärm empfand: das Kreischen der Vögel, das Zirpen
gigantischer Grillen, das Schreien rivalisierender Katzen. Er dachte an die Vogelspinne,
die ihn in den ersten Tagen in Ecuador besuchen kam. Er lag auf dem Bett, mit einem
dünnen Laken bedeckt, und schwitzte. Lautlos und ohne Eile kroch sie auf seinem
Bauch zu seinem Hals empor. Der Gedanke an seine damalige Reaktion trieb ihm ein
Grinsen ins Gesicht. Steif wie sein Surfbrett verharrte er und rief seine Freundin,
die direkt neben ihm lag. Sechs, sieben Mal
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