Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
und nie die Gelegenheit hatten, Vater und Mutter kennenzulernen. In ihrer Verzweiflung
hatten sie einen, zugegebenermaßen juristisch wackeligen, Prozess gegen den Staat
Deutschland und den Lebensborn e.V. geführt. Der Prozess wurde abgewiesen. Hinzu
kam, dass ein Zeuge während des Prozesses auf unschöne Weise ums Leben kam. Ein
Mann übrigens, der Ihnen aus Kriegstagen bekannt sein dürfte.« Werner fixierte Fürst
senior ungerührt. Der Alte hatte dem Gesagten bisher gelassen zugehört. Zumindest
erweckte es den Anschein, dass ihm diese Befragung keinerlei Seelenqual verursachte.
Martin ließ
ihn nicht aus den Augen, um keine eventuellen Reaktionen zu übersehen. Er übernahm
das Verhör. »Sie sagten vorhin, Sie würden die Opfer nicht kennen.«
Fürst senior
und junior nickten einmütig und sahen sich an.
»Wir wissen,
dass Sie, Herr Dr. Fürst, im Krieg als Zeugungshelfer tätig waren. Sie haben mindestens
zwei Kinder mit zwei verschiedenen Frauen gezeugt und sie in einem Lebensbornheim
zur Welt bringen lassen. Was danach mit den Kindern geschah, schien Ihnen egal gewesen
zu sein, denn es spricht nichts dafür, dass Sie jemals Interesse für diese Kinder
gezeigt hätten.« Dr. Fürst senior sah auf die Uhr. Fünf von 15 Minuten waren vergangen.
»Woher wollen
Sie das denn wissen? Das sind doch nur Vermutungen. Ich habe außer meinem Sohn Maximilian
keine Kinder.«
»Keine ehelichen,
das stimmt. Aber zwei uneheliche. Das haben wir schwarz auf weiß.« Fürst erbleichte.
Werner fuhr
fort. »Und diese ›Kinder‹ sind jetzt ebenfalls ältere Menschen um die 70 und beteiligten
sich an dem Prozess, den sie unter der Schirmherrschaft eines Professors für Psychiatrie
leider verloren haben. Verständlicherweise wollte man sich für einen zweiten Prozess
besser rüsten. Man stellte also umfangreiche Recherchen an und fand heraus …«, Martin
öffnete die Hände wie ein Priester, der seiner Gemeinde den Segen zusprach, »… dass
Sie Vater von zwei weiteren Kindern sind. Beziehungsweise waren, denn einer dieser
Menschen ist kürzlich verstorben. Ein anderer Sohn von Ihnen, ein gewisser Armin
Rohdenstock, lebt nur deshalb noch, weil er knapp einem Mordanschlag entgangen ist.«
Martin legte
eine bedeutsame Pause ein. »Ist schon ein komischer Zufall, was? Also, ich sehe
das so: Beide Opfer hatten mit vier weiteren Klägern einen zweiten Prozess vorbereitet,
und darin wäre es nicht nur um Anerkennung, Selbstachtung oder Identität gegangen,
sondern um Geld. Um sehr viel Geld sogar, wenn ich mich hier so umschaue.«
»Wie darf
ich das bitte verstehen?«
»Na, das
liegt doch auf der Hand. Wenn der genetische Nachweis der Vaterschaft gesichert
wäre, hätten diese Menschen Anrecht auf Unterhalt gehabt, zumindest stünde ihnen
der Anspruch auf das Erbe zu, wenn Sie mal nicht mehr sind.«
Fürst senior
blickte zu Boden und rieb sich das Kinn. Seine Erscheinung ließ entweder einen genialen
Schauspieler erahnen oder er wusste tatsächlich nichts von derlei Vorwürfen. Immerhin
fand sich sein Name in diversen Unterlagen und Dokumenten, die Prof. Keller ausgegraben
hatte. Doch der Vater zu sein, bedeutete noch lange nicht, der Mörder der eigenen
Kinder zu sein.
Maximilian
blickte bei dem Gespräch in die Augen seines Vaters und wartete auf den ersehnten
Rausschmiss der Polizisten, zu dem er selbst nicht in der Lage war. Das zarte Knibbeln
an dem Kissenzipfel wurde von einem Kugelschreiber abgelöst, der pausenlos in der
Hand gedreht wurde. Maximilian gab sich keinerlei Mühe, sein Unbehagen zu verbergen.
Sollten sich die Anschuldigungen bestätigen, hätte er Geschwister gehabt, wenn auch
deutlich älter als er selbst. Menschen, durch deren Adern das Blut seines Vaters
floss. Die vielleicht dieselben Augen oder andere dominante Familienmerkmale hatten.
Menschen mit anderen Vorlieben und Träumen vielleicht, unter anderen Bedingungen
aufgewachsen, nie durch die Erziehung eines eigenen Vater geprägt. Die nie von ihm
geliebt, kein Lob von ihm erhalten, nicht einmal Anerkennung ihrer Existenz erhalten
hatten und doch seine Kinder waren.
Der betagte
Jubilar legte die Hände zusammen und schlug die Beine übereinander. Alles in allem
wirkte er gefasst. Wieder sah er auf die Uhr, wie auch Martin, der den Wettlauf
gegen die Zeit zu ignorieren versuchte. Er war in seiner Tätigkeit als Kriminalbeamter
hier und nicht als angehender Assistenzarzt, der eine unliebsame und zeitlich begrenzte
Unterredung mit seinem Chef
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