Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
nicht geht. Hat ja auch nicht geklappt. Aber dann die Sache
mit dem Nazi, da haben die Leute hingehört. Bad news
are good news. In diesem Fall waren das sowieso good news. Einem alten
Nazischwein trauert ja keiner ’ne Träne nach, oder?« Pohlmann gähnte und sah Lorenz
fragend an. Lorenz fuhr fort: »Na ja, und Emilie Braun behauptet in diesem Buch,
dass Professor Keller diesen Nazi umgebracht hat.« Martin nickte und zog den Reißverschluss
der Jacke über dem frierenden Bauch zu. Alle Argumente, die er jetzt noch hätte
vorbringen können, hätten Lorenz nicht davon abgehalten, stur zu bleiben. So kannte
er seinen Chef und so war er geblieben. Willkommen zurück in Hamburg. Also
beschloss er, sich schnell auf den Weg zu machen, um dessen Redeschwall abzukürzen.
Lorenz kramte
einen Schlüsselbund hervor. »Ihren alten Dienstwagen gibt es auch noch. Könnte sein,
dass er nicht gleich anspringt. Außer Schöller hat den niemand benutzt.«
Pohlmann
verließ wie in Trance das Büro. Lorenz rief ihm nach: »Na dann, bis morgen um acht.«
Als Pohlmann
außer Hörweite war, wandte sich Werner Hartleib seinem Chef zu. »Meinen Sie nicht,
man hätte ihm einen Tag zur Erholung geben müssen? Wenigstens sich umziehen hätte
er müssen, oder?« Lorenz zog die Stirn in Falten. Nun kamen ihm doch erste Bedenken,
Pohlmann so früh ins Schlachtfeld geschickt zu haben, noch dazu in eins, in dem
Pohlmann nicht vollständig Herr seiner Souveränität sein würde.
*
Pohlmann fand den zwölf Jahre alten
VW-Passat auf dem Parkplatz. Er ignorierte den Mief von Schöller darin. Erstaunlicherweise
sprang der Wagen nach dreimaligem Orgeln an.
Das Präsidium
befand sich nicht unweit der Außenalster, einige Straßen von der ewig verstopften
Adenauerallee entfernt, in St. Georg. Die idyllisch klingende Adresse lautete: Beim Strohhause 31. Einer Legende
zufolge stammte der Name aus dem 17. Jahrhundert und beruhte auf der Existenz eines
Hauses, in dem ein Schlagbaumwärter seine Wohnung hatte und dort eine lebhaft besuchte
Gaststätte betrieb. Es handelte sich um einen Fachwerkbau, dessen Felder zwischen
den Balken mit Strohgeflecht ausgefüllt waren. Eine andere Überlieferung besagte
indes, dass an dieser Stelle ein Dorf gelegen haben solle, das der Hamburger Kavallerie
als Strohlager diente. Wie dem auch gewesen sein mochte, St. Georg war wahrlich
kein beschaulicher Ort, den man unbeschadet des Nachts passieren konnte, selbst
wenn das Viertel seinen Namen dem nach dem Heiligen Georg benannten Lepra-Hospital
verdankte, das um 1200 außerhalb der Stadt gegründet worden war. Bis in die 80er-Jahre
hinein war St. Georg eher ein Ort, der mit Drogen- und Menschenhandel zu kämpfen
und nun den Sprung in die Moderne geschafft hatte. Es reichte sogar für eine Schlagzeile
in der Bild-Zeitung, in der es hieß, dass sich St. Georg gemausert hätte und sich
Künstler, Angestellte und Freaks – so wörtlich – sauwohl dort fühlten. Kontrovers
hingegen wurde nach wie vor die multikulturelle Vielfalt dieses Stadtteils diskutiert,
in dem nach Meinung der meisten Anwohner ein Polizeipräsidium wie ein Licht in der
Dunkelheit wirken würde.
Martin legte
den ersten Gang ein und erinnerte sich an eine Route, die ihn um den Stau herum
lotsen würde. Der kleine Umweg, der ihn auf schnellerem Wege zum Steintorwall führen
würde, war ihm trotz seiner zweijährigen Abwesenheit sofort wieder präsent. Die
Fahrt nach Norderstedt dauerte bei günstigen Verkehrsverhältnissen eine halbe Stunde.
Er rechnete in dem Moment mit dem Doppelten, als er den Glockengießerwall hinter
sich ließ und auf die Kennedybrücke fuhr. Der Stau lichtete sich erst auf der Schäferkampsallee.
Er bog, nachdem er die Kieler Straße hinter sich gelassen hatte, bei Hamburg-Stellingen
auf die A7 ab, die ihn in Windeseile gen Norden bringen sollte. Bei Hamburg-Schnelsen-Nord
bog er ab, ohne sich über nennenswerte Verkehrsbehinderungen geärgert haben zu müssen,
und traf schließlich über die B 432 in Norderstedt ein. Wie er zum Landeskrankenhaus
kommen würde, wusste er. Leider war ihm die Strecke zur Psychiatrie nur allzu vertraut.
*
Pohlmann erreichte das etwas außerhalb
liegende Klinikgelände und parkte den Wagen auf dem Besucherparkplatz. Er beschloss, eine
letzte Zigarette zu rauchen, bevor er die Tore, an die sich hohe Mauern anschlossen,
durchqueren würde. Wieder sah er an sich herab. Wie ein Polizist im gehobenen Dienst
sah er im Augenblick nicht
Weitere Kostenlose Bücher