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Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Gustmann
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zu erzählen, die nicht im Entferntesten zur Situation passten. Egal.
Er hoffte schlichtweg auf ein Wunder.
    »Ich war
fast zwei Jahre in Ecuador, wissen Sie? Ich bin abgehauen, weil ich es hier nicht
mehr ausgehalten hab. Hab meine Verlobte bei einem Autounfall verloren. Ich glaub,
es war meine Schuld. Hab zu viel getrunken, verdammt, so wie immer.« Martin nickte
seinem stummen Gegenüber zu. »Ich neige leider dazu, zu viel zu trinken.« Martin
nippte wie aufs Stichwort an seinem Glas.
    »Gleich
neben Ihrer Klinik hatte ich meine Therapie. Nicht wegen dem Trinken, sondern wegen
Burn-out. Wissen Sie wahrscheinlich nicht, was das ist, oder?« Martin wartete auf
eine Reaktion, die nicht kam.
    »Na, egal.
Es hat mich angekotzt, drei Mal in der Woche dahinzufahren. Und kaum komme ich aus
Ecuador wieder, werde ich sofort wieder in diese beschissene Klinik geschickt. Verdammt.
Ich sollte Ihr Buch abholen, weil Dr. Schillig meinte, die Polizei solle sich das
mal ansehen. Es stünden so viele Sachen über Professor Keller drin und die Geschichte
mit dem Mord an dem Nazi und so. Wie gesagt, ich hab es fast durch, aber ehrlich
gesagt, bin ich nicht wirklich viel schlauer als vorher. Soooo viel steht da nun
auch wieder nicht drin. Außerdem ist die Rede von einem Brief, den er Ihnen geschrieben
hat, aber von dem Brief gibt’s keine Spur. Den gibt es irgendwie gar nicht.« Martin
nahm einen weiteren Schluck und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.
    »Wissen
Sie was? Am Anfang mochte ich Sie überhaupt nicht, aber jetzt … Ich glaub, Sie haben
ziemlich viel durchgemacht – im ersten Heim und später im nächsten und im Krankenhaus
und in den Pflegefamilien.« Martin umfasste das Glas erneut mit beiden Händen. Obwohl
Emilie ihm augenscheinlich nicht zuhörte, tat ihm das Reden gut. Es entspannte ihn
zusätzlich zum Alkohol.
    »Es gab
in Ihrem Leben nicht viele Leute, die Sie geliebt haben, was? Scheiße. Muss echt
bitter sein. Keine Eltern zu haben, sie nicht einmal zu kennen und dann später diese
Geschichten.« Martin blickte in das Glas und beobachtete, wie sich die Schaumbläschen
eins nach dem anderen auflösten. »Aber wissen Sie was? Mittlerweile finde ich Sie
ganz drollig. Und Sie schreiben toll, ehrlich. Wow, das könnte ich nicht, so schreiben.
Ich krieg nicht mal ’ne Postkarte ordentlich hin. Ich find Sie nett. Sie sind so
anders als die anderen. Okay, die Nummer hier gerade ist nicht witzig, aber sonst.«
Martin betrachtete Emilie und meinte, eine kleine Regung in ihr aufkeimen zu sehen.
    »Wollen
Sie nicht mal langsam wieder aufwachen?« Martins Verzweiflung wuchs. Emilie rührte
sich nicht.
    »Mist. Ich
muss telefonieren.« Martin schob den Stuhl vom Tisch und gab sich geschlagen. Mit
nur 0,4 Promille torkelte er nicht, doch er war deutlich entspannter als mit 0,0.
    »Ich brauch
mal das Telefonbuch von Hamburg.« Der junge Kellner reichte ihm zwei dicke Bände.
A bis K und L bis Z. Martin versuchte es unter Krankenhaus und fand nach längerer
Suche den Eintrag, der ihm mit ziemlicher Sicherheit das Ende seiner Karriere bescheren
würde. Er sah schon die Schlagzeilen: Eigenmächtiger Polizist entführt schwerkranke
Frau aus Psychiatrie .
    Martin hielt
den Finger unter den Eintrag im Telefonbuch und begann zu wählen. 040-3778923. Das
erste Freizeichen ertönte. In dem Moment griff der Kellner an Martins Arm, in dem
er den Hörer hielt. »Sehen Sie, die Frau …« Augenblicklich drehte sich Martin zu
Emilie um, die grinsend in seine Richtung sah. Dann hob sie ihre knochige Hand und
winkte kurz. Selten hatte ein Winken Martin derart glücklich gemacht. Aus dem Hörer
hörte er die Dame am Empfang der Klinik wiederholt ihren Spruch aufsagen. Martin
legte auf und bedankte sich mit glasigem Blick bei dem Kellner. Zügigen Schrittes
ging er zum Tisch zurück.
    »Wollen
wir los?«, fragte Emilie, als sei alles in bester Ordnung und in der letzten halben
Stunde rein gar nichts vorgefallen.
    »Ja. Okay.
Unbedingt.« Martin verstaute sein totes Handy in der Tasche und zog sich die Jacke
an. Er beeilte sich, Emmis Mantel zu holen, bevor sie es sich anders überlegen würde,
stellte sich hinter sie und flüsterte ihr ins Ohr: »Schön, dass Sie wieder bei uns
sind.« Er streifte ihr den Mantel über und sie ließ es geschehen. Sie lernte.
    Zum Abschied
winkte er dem Kellner noch zu, der so etwas kaum vorher jemals erlebt hatte und
in Zukunft nicht mehr erleben wollte.

Kapitel 47
     
    Seevetal, 11. November

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