Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
lang. Martins Erregung erreichte
ihren Höhepunkt, als er auf dem Handy nicht einen einzigen Balken für den Empfang
fand. Darüber hinaus piepte es ständig, da sich der Akku dem Ende näherte wie seine
Kraft. Wie ein nasser Sack ließ er sich auf den Stuhl fallen, auf dem er zuvor gesessen
hatte. Er betrachtete Emilie, wie sie unbeweglich verharrte, und um seine Augen
herum begann sich alles zu verändern. Die Dinge in der Nähe wurden schärfer, die
Umgebung verschwand allmählich. Er blickte wie durch einen Tunnel zu ihr, die sich
noch nicht entschließen wollte aufzuwachen.
Mein Gott.
Was hatte er getan? Was war damals passiert, dass allein die Erwähnung jener ›Männer‹
einen Anfall auslösen konnte? Welches Trauma schleppte diese Frau schon ihr ganzes
Leben mit sich herum?
Martin befreite
sich aus seinem Schock und stand auf. Telefonieren! Ja, er musste telefonieren,
hämmerte es in seinem Hirn, doch die Nummer, die er so dringend benötigte, war in
dem schwarzen Loch seines Handys verschwunden. Kein Netz, kein Akku, keine Adressdatei.
Zwar ein Telefon an der Theke, aber wie sollte er die Nummer der Klinik in der Kürze
der Zeit herausfinden? Was sollte er Dr. Schillig sagen? Ja, dass er ein Arschloch
sei, und ja, dass es ein Riesenfehler gewesen war, sie mitzunehmen, und ja, dass
er, der Arzt, verdammt noch mal, recht gehabt hatte. Allerdings wäre der Anruf das
Ende von Emmis Freiheit. Er würde sie zurückbringen oder abholen lassen müssen und
sie würde möglicherweise am nächsten Abend nicht mehr leben, weil der Killer auf
sie wartete.
Martin drehte
sich wie ein Hund auf dem Fleck herum und hielt sich den Kopf. Es musste noch einen
anderen Weg geben, als verzweifelt in der Klinik anzurufen.
Das ältere
Ehepaar, das über der Szene seinen Nachtisch vergaß, fand Martin ziemlich panisch.
Sie starrten ungehemmt abwechselnd zu Martin, dem Kellner und Emilie.
Martin warf
den beiden seinen Zorn entgegen. »Was gibt es da zu glotzen, Herrgott?«
In demselben
Augenblick drehten sie sich einander zu und blickten verstohlen auf ihre Teller.
Brav löffelten sie das geschmolzene Eis.
Martin atmete
langsam und bewusst. Nur nicht die Nerven verlieren. Vielleicht musste man nichts
tun, außer zu warten, redete er sich ein. Ruhe bewahren und warten. Ewig konnte
sie so auch nicht dort sitzen.
Martin setzte
sich wieder hin. Der Kellner kam, sagte keinen Ton, reichte Martin die Rechnung
auf einem kleinen Teller neben der Visitenkarte des Restaurants. Dann ging er drei
Schritte zurück. Er war weiß wie sein frisch gestärktes Hemd. Verstohlen blickte
er auf Emilie, die sich nicht im Geringsten an ihm störte. Seine Neugier trieb ihn
an, sich einzumischen. Schließlich war er für diese Mittagsschicht verantwortlich
und vertrat den Chef. Da konnte nicht einfach jemand kommen und so tun, als sei
er ins Koma gefallen. Nicht in seiner Schicht!
»Kommt sie
wieder in Ordnung? Hatte sie das schon öfter?«
Martin kramte
in seiner Brieftasche nach Kleingeld. 30 Euro und 26 Cent. Er wollte auf 32 Euro
aufrunden, doch er fand kein Zwei-Euro-Stück. Seine Finger zitterten, und er nahm
einen Fünfer heraus.
»Stimmt
so«, sagte er mit geschwächter Stimme. Ihm fehlte jegliche Kraft für eine lautstarke
Auseinandersetzung mit dem Pinguin. Er erkaufte sich seine Ruhe mit einem fürstlichen
Trinkgeld.
Er blickte
zu dem jungen Mann auf, der nicht älter als 22 sein mochte. »Ich weiß es nicht.
Ich hab keine Ahnung, was ich machen soll. Ich bin Polizist und sie … sie ist eine
Zeugin.« Martin entschied, nur die halbe Wahrheit zu erzählen. »Wenn das noch lange
so geht, muss ich einen Arzt rufen. Lassen Sie mich noch einen Moment mit ihr allein,
ja?«
»Kann ich
noch irgendetwas für Sie tun?«
Martin überlegte
kurz. »Ja, bringen Sie mir einen Schnaps und ein Bier, bitte.«
Unverzüglich
zapfte der Kellner ein Bier und goss einen Aquavit in ein Pinchen ein. Er dachte
vermutlich Dinge wie ›Trinken im Dienst‹ oder ›an seiner Stelle würde ich auch einen
Schnaps trinken‹. Rasch brachte er Martin die Getränke und sagte: »Geht aufs Haus.«
»Danke.«
Das ältere
Ehepaar schlich aus der Gaststätte, der Kellner in die Küche. Martin schien der
Verzweiflung nicht Herr werden zu können und fing plötzlich, in seiner Not, an zu
reden. Zuvor schüttete er den Schnaps die Kehle hinunter und einen Schluck Bier
hinterher zum Verdünnen. Ungeachtet der Tatsache, dass sein Gegenüber nicht zuhörte,
begann er Dinge
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