Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
musste. Ab dem morgigen Tag würde die polizeiliche Überwachung von Alois
Feldmann zu Ende sein, weil man nicht davon ausging, dass es noch ein weiteres Opfer
geben werde.
*
Gegen 20 Uhr kamen Martin und eine
entspannte und verwandelte Emilie in Eimsbüttel an. Emilie war auf der Fahrt von
Lüneburg nach Hamburg in einen tiefen, erholsamen Schlaf gefallen. Martin hätte
sie gern gefragt, was in ihr vorging, hätte sich nach ihrem Seelenleben erkundigt,
doch sie gab ihm keine Chance dazu – noch nicht.
Martin hatte
sich wie ein irritierter Schuljunge von Catharine Bouschet verabschiedet. Dass er
sie wiedersehen wollte, kam stotternd über seine Lippen, fern jeglicher maskulinen
Sicherheit, die ihm sonst eigen war. Sie hatte schwach genickt, ein ›mal sehen‹
geflüstert und zu Boden geblickt. Der Abschied hatte alles offengelassen, doch Desinteresse
an einem Wiedersehen wollte Martin keinesfalls in ihr Verhalten hineininterpretieren.
Als Martin
die Tür zu seiner Wohnung aufschloss und die verschlafene Emilie hineinführte, fiel
ihm sofort eine Besonderheit in seiner Wohnung auf, die zuvor nicht da war.
Seit Tagen
hatte er nicht mehr geraucht, und es hatte noch nie so sauber gerochen wie am Morgen,
als er die Wohnung verlassen hatte. Mittags hatte es nach Kaffee geduftet, doch
nun gesellte sich ein Geruch dazu, der ihm nicht nur fremd, sondern in seinem Inneren
auch zuwider war. Eine Mischung aus Sandelholz und Patschuli lag in der Luft. Er
meinte, ein wenig Nelkengeruch und Muskatnuss auszumachen. Er war sich sicher, dass
er diesen Geruch schon einmal gerochen hatte, und intuitiv schlug sein Unterbewusstsein
Alarm. Er griff nach seiner Dienstwaffe und hielt sie so, dass Emilie sie nicht
sofort sah. Während sie auf der Toilette verschwand, durchsuchte er zügig alle Räume
nach einem Eindringling. Er streifte auf Socken in jede Ecke seiner Wohnung und
schnüffelte wie ein Hund nach olfaktorischen Spuren. In seinem Schlafzimmer hatte
er das Gefühl, beobachtet zu werden, obwohl er unter dem Bett und im Schrank nachgesehen
hatte. Er war allein, daran bestand kein Zweifel und doch … Etwas war anders als
sonst. Abgesehen von diesem penetranten Geruch, der in jedem Winkel der Räume wahrzunehmen
war. Oder war alles nur Einbildung? Das Ergebnis seiner überdrehten Fantasie? Der
Kontakt mit zu viel Verrücktem in- und außerhalb diverser Anstalten? Schließlich
fand er, was ihn störte, was nicht in seine Wohnung gehörte, obwohl es schon einmal
bei ihm deponiert worden war.
Diesmal
war es nicht nur eine. Gleich drei makellos weiße Federn lagen neben seinem Kopfkissen
mit ebenfalls weißem Bezug. Die Federn hoben sich farblich kaum vom Untergrund ab
und waren so platziert, dass er sie, auf der Seite liegend, bemerkt hätte. Kurz
vor dem Hinabgleiten in eine andere Welt sollten sie dafür sorgen, dass genau dies
nicht mehr stattfinden würde. Aufgeschreckt würde er die Federn anstarren, aus dem
Bett springen, adrenalingeschwängert die Wohnung nach dem Überbringer der Botschaft
absuchen und ihn natürlich nicht finden. In dieser Nacht kein Auge zutun, über die
Federn nachdenken und zu keinem Ergebnis kommen. So war es geplant, und wäre nicht
dieser penetrante Geruch gewesen, den der Mörder selbst schon lange nicht mehr an
sich wahrnahm, hätten sich die nächsten Stunden auch genauso abgespielt.
Martin nahm
die Federn und legte sie auf die linke Handfläche. Sie waren so klein, dass sie
nebeneinander passten, ohne die Handfläche zu überragen. Er sah sie an, ihre schöpferische
Perfektion und Unschuld. Bisher hatte der Mörder sein Erkennungszeichen immer dann
am Tatort zurückgelassen, wenn die Tat vollbracht war, außer ein Mal, als Martin
eine Feder in seiner Wohnung gefunden hatte und am Leben geblieben war. Nun fand
er nicht eine, sondern drei. Sollte es so sein, dass nicht nur Emilie und Alois
die potenziellen Opfer sein würden, sondern er selbst auch? Ihn fröstelte bei dem
Gedanken, die Zielscheibe eines Psychopathen zu sein. War dies tatsächlich ein Hinweis
auf seinen bevorstehenden Tod?
Kalter Schweiß
lief ihm die Wirbelsäule hinunter.
Warum er?
Er war doch nur ein Bulle. Ein Ermittler, der außer, dass er seinen Job machte,
nichts weiter mit den Opfern zu tun hatte. Er war weder in einem Lebensbornheim
zur Welt gekommen, noch war er ein ehemaliger oder zukünftiger Kläger. Vielleicht
wollte der Täter ihn, den Mann, der ihm auf der Spur war,
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