Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
Stöhnlaute zwischen dem ölhaltigen Wolllappen hervor.
»Wenn du
dich nicht kooperativ zeigst, muss ich dir leider noch ein bisschen mehr wehtun.«
Dräger hob
seine Zange an und ließ den Mittelfinger Drägers darin verschwinden. Erst nur ein
leichtes Zudrücken. Er wartete eine Weile und sah Pohlmann zu, wie er sich in seiner
Verzweiflung wand und quälte. Dann drückte er kräftiger zu und ließ den Finger ein
weiteres Mal in viele einzelne Knochenstücke zerbersten. Nun kam der Schmerz schneller
und Pohlmann schrie ihn in den Lappen hinein. Hätte er Bewegungsfreiheit gehabt,
wäre er nach vorn gesackt, auf den Boden gerutscht und hätte sich vor Qualen gekrümmt,
doch der Kopf blieb starr gehalten. Nur die Augen konnte er schließen, um nicht
das sardonische Grinsen ertragen zu müssen. Dräger riss Pohlmann den Lappen aus
dem Mund. Martin schnappte nach Luft und wünschte sich, endlich ohnmächtig zu werden,
doch nichts dergleichen geschah.
»Also, lieber
Herr Kommissar. Ich hab Sie was gefragt.«
Martin hatte
die Frage schon vergessen und sah Dräger fragend an.
»Na, ob
man so etwas schon mal mit dir gemacht hat, wollte ich wissen.«
Martin atmete
heftig durch die Nase, und der Geruch nach dem abgestandenen Öl drang in seine Lunge.
»Nein«,
murmelte er. »Nein, nein – nein, verdammt noch mal.«
»Hey. Ich
versteh dich so schlecht. Das ist nicht nett, dass du so nuschelst. Ich mag es nicht,
wenn man mich annuschelt.«
»Nein, verdammt
noch mal«, wiederholte Martin jetzt deutlich.
»Nicht?
Na, dann siehste jetzt mal, wie das ist. Ich für meinen Teil kenne das nämlich ziemlich
gut.« Dräger hob seine rechte Hand, in der er die Zange hielt, und spreizte den
kleinen Finger ab. Er war unförmig und verkrüppelt.
»Siehste.
Lässt sich kaum noch bewegen.« Drägers Finger vollführte kleine Bewegungen, die
eher an ein Zucken erinnerten. »Kleines nettes Andenken von Papi.« Dräger nickte
in Gedanken. »Willste noch mehr sehen?« Dräger riss sein Armee-Shirt aus der Hose
und zog es hoch. Er drehte sich um. Sein Körper war mit diversen Tattoos geziert.
Totenköpfe, Schlangen, Teufelsfratzen und ein Hakenkreuz auf dem Arm. Zwischen den
Tätowierungen war der Rücken mit Narben wie von Peitschenhieben übersät. Er zeigte
ihm Brust und Bauch. Auch dort prangten abstoßende Zeichnungen, die sich kein normaler
Mensch auch nur als Bild hinhängen würde.
»Oder das
hier«, führte Dräger weiter aus. »Auch nett.« Dräger deutete auf eine Stelle unterhalb
der linken Brustwarze. Es war eine kreisrunde Narbe mit einer deutlichen Vertiefung
im Muskelgewebe.
»Stammt
von ’ner Zigarette. War grad kein Aschenbecher in der Nähe. Für ’ne Fünf in Mathe.
Sollte ’ne Art Erinnerungshilfe für die nächste Arbeit sein.« Er ließ das Shirt
fallen und stopfte es in die Khaki-Hose.
»Netter
Daddy, was? Sie hatten bestimmt ’nen ganz lieben. Davon bin ich überzeugt. Einer,
der Ball mit Ihnen gespielt hat und auf Bäume geklettert ist und Kanu gefahren ist.
Oder? So war es doch?«
Drägers
Ansprache war lauter geworden. All sein Hass und seine Wut stiegen wie dunkler Rauch
aus der Tiefe der Hölle, die er erlebt hatte, empor. Er brauchte einen Sündenbock
für all das empfangene Unrecht, jemanden, an dem er seine Rache ausleben konnte.
Martin dachte, warum sollte ausgerechnet er derjenige sein, der für Dinge büßen
musste, mit denen er rein gar nichts zu tun hatte. Dräger war verrückt, daran bestand
kein Zweifel. Dringend therapiebedürftig und das, obwohl er sechs Jahre lang innerhalb
einer psychiatrischen Einrichtung die Behandlungen anderer verfolgt hatte. Denkbar,
dass er dort Symptome von Patienten angenommen hatte. So etwas hörte man ja immer
wieder: Dass sich bei Pflegern, Schwestern und sogar Ärzten in ihrer Hingabe, andere
zu heilen, Durchlässigkeiten in ihrem eigenen Schutzwall einschlichen. Dass nach
und nach die psychische Stabilität aufweichte und man Krankheitszeichen an sich
bemerkte, die auf eine Erschöpfung oder ein Burnout hinweisen konnten, in Wirklichkeit
aber Merkmale einer schizophrenen Erkrankung waren. Männer und Frauen, die über
all ihr Geben, Pflegen und Heilen sich selbst aus den Augen verloren hatten und
nicht achtsam mit eigenen Bedürfnissen umgegangen waren. Die die Rollen wechselten
und vom Arzt zum Patienten mutierten.
Martin fühlte
sich in Dingen der Psychologie inkompetent und hatte auch kein Interesse daran,
Dräger zu therapieren. Er musste seine
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