Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
Jahrhundert
festzuschnallen, bis die Hände erst weiß, später blau wurden, das verschaffte ihm
einen erlesenen Vorgeschmack an innerer Genugtuung auf das, was noch kommen sollte.
Er kostete das Gefühl grenzenloser, wenn auch missbrauchter Macht voll aus. Nun
war er, Lars Dräger, der angebliche Verlierer, am Drücker. Er war derjenige, der
über Schmerz oder Gnade entschied und dieser Umstand berauschte ihn. Die Aufträge,
die er ausführen sollte, hatte er längst vergessen. Das langweilige Töten eines
Menschen, dergestalt, dass es wie ein Selbstmord aussah, stellte ihn nicht mehr
zufrieden. Er wollte seine eigenen Wege gehen.
Martin saß wie versteinert in diesem
Stuhl und wusste, dass es nur einen Weg heraus aus dem Erleben des Schmerzes gab:
die Flucht in die Bewusstlosigkeit. Wie man eine solche herbeiführte, noch bevor
der Schmerz verursacht wurde, quasi aus der Angst vor ihm geboren, das entzog sich
seiner Kenntnis. Er schwitzte und spürte, wie der Schweiß aus den Achseln rann und
den Rücken kalt hinunterfloss. Sein Gaumen war so trocken, dass ihm das Sprechen
schwerfiel. Die Zunge schien angeschwollen zu sein, die Zähne und die Kiefergelenke
schmerzten vom heftigen Aufeinanderpressen und er atmete viel zu schnell. Dann fiel
es ihm ein: Die Atmung konnte der Schlüssel sein. Er erinnerte sich an einen Erste-Hilfe-Kurs
und rief sich die Worte des Referenten ins Gedächtnis: Die Hyperventilation ist eine über den Bedarf gesteigerte Lungenbelüftung und geht mit einer Abnahme des
Kohlenstoffdioxid-Partialdruckes und einem pH-Anstieg im Blut einher. Das hieß,
er müsste nur rasch atmen, hyperventilieren, um bewusstlos zu werden, sofern Dräger
ihm nicht rechtzeitig eine Tüte vors Gesicht halten würde. Durch das mehrmalige
Ein- und Ausatmen der eigenen kohlenstoffdioxidhaltigen Atemluft würde die CO 2 -Konzentration
im Blut wieder ansteigen und seine ersehnte Bewusstlosigkeit würde nicht eintreten.
Er verwarf den Gedanken sofort, da er wusste, dass Dräger in Dingen wie Notfallmedizin
und dergleichen bestens ausgebildet war. Er würde es ihm nicht so einfach durchgehen
lassen, sich ohne Erlaubnis seines Peinigers aus dem Staub zu machen.
Martin bewegte
die Augen von links nach rechts, panisch auf der Suche nach einem Ausweg aus seinem
Dilemma, doch er sah keine Möglichkeit, die Eisen um die Gelenke zu lockern oder
sich durch taktische psychologische Manipulation Drägers der Situation zu entziehen.
Er bemerkte, wie Dräger die ursprüngliche Zange gegen eine andere, eine kleinere,
austauschte. Ihm schwebte eine andere ›Therapie‹ vor. Mit dieser sah Martin ihn
auf sich zukommen. Sein Puls raste und das Herz kündigte einen drohenden Infarkt
an, sollte nicht der anhaltende Nachschub an gefäßverengenden Stresshormonen nachlassen.
Seine Gelenke schmerzten zu diesem Zeitpunkt schon so stark, dass er annahm, dass
ein Stich oder Schnitt kaum schmerzhafter sein könnte als das, was er gerade erlebte.
Dass dies nur ein Bruchteil des Schmerzes war, den er erfahren sollte, wurde ihm
klar, als Dräger die verrostete Zange, die aussah wie Kaminbesteck für Zwerge, an
seinem rechten kleinen Finger ansetzte. Er bekam noch mit, wie Dräger einen nach
Öl stinkenden Lappen nahm und ihm zwischen seine Zahnreihen zwängte. Er würgte,
und wäre noch etwas in seinem Magen gewesen, hätte er den sauren Inhalt der Speiseröhre
nach oben befördert. Ein letzter Blick in die Augen des Wahnsinnigen und er hörte
ein entferntes Bersten, als gehöre es nicht zu ihm. Nicht zu seinem Körper, nicht
zu seinem Finger, den Dräger wie eine Nuss mehrfach zerbrochen hatte. Sekunden später
flammte der Schmerz auf. Pohlmann biss die Zähne auf dem öligen Lappen zusammen
und hechelte durch Nase und Mund. Speichel lief zwischen den Zähnen und wurde von
dem Lappen aufgesaugt. Am liebsten hätte er Dräger angespuckt, ihm seine ganze Verachtung
entgegengespien, doch seinen Peiniger zu provozieren, schien keine gute Idee zu
sein. Ohnmacht, bitte komm, dachte er. Sie stellte sich nicht ein.
»Na, Bulle,
wie fühlt sich das an? Hat man das schon mal mit dir gemacht?«
Pohlmann
hob mühsam die Augen zu Dräger empor und erschrak über die tief empfundene Lust,
die sich in Drägers Blick widerspiegelte. Pohlmann wollte verneinen, doch weder
konnte er seinen Kopf bewegen noch irgendetwas sagen.
»Was ist
los, Bulle? Willst du nicht mit mir reden? Du magst mich wohl nicht, was?« Martin
versuchte zu nicken und brachte
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