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Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Gustmann
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Dräger zu ihr auf
die Station kam, war er gelegentlich noch nett. Da die Räume der Patienten keine
Mikrofone, sondern nur Überwachungskameras besaßen, konnte er ihr aber bei freundlicher
Miene obszöne Bosheiten an den Kopf werfen, ohne aufzufallen. Man sah auf dem Monitor,
dass sich seine Lippen mit einem Lächeln bewegten und dass er sich ihr scheinbar
liebevoll zuwandte, nicht jedoch, dass er sie beschimpfte, sie demütigte und ihr
seelische Qualen zufügte. Hätte sie dies Keller gemeldet oder einem anderen Pfleger,
hätte man ihr vorgeworfen, sie würde fantasieren. Sie, die neben Keller und den
anderen Exklägern auf der Abschussliste seiner Auftraggeber stand. Doch vor ihrem
Tod wollte er wenigstens noch ein wenig mit ihr spielen. Bis der Zeitpunkt gekommen
war, den Auftrag auszuführen und sie zu liquidieren.
    Emilie indes
wollte nicht mehr sterben. Etwas hatte sich in den letzten Tagen verändert. War
es der Umstand, dass sie keine Medikamente mehr bekam, die sie wie in Watte hüllten
und zu einem ferngesteuerten Leben im Dreivierteltakt verdammten, oder war es das
Verlassen der Klinik? Zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte sie in ihrem Inneren
eine lebensbejahende Stimme gehört. Nicht die düsteren Ratgeber, die aus dem Schatten
zu ihr sprachen, sie zum Suizid animierten, sie verhöhnten und verspotteten. Stimmen,
die wie die von Dräger klangen. Seitdem sie mit Martin durch die Gegend gebraust
war, die Felder und Wiesen an ihr vorbeigerauscht waren, begann eine Veränderung
in ihr stattzufinden, die sich so langsam vollzog, dass sie es erst ein paar Tage
später spürte. Obwohl sie nach so vielen Jahren in Dr. Fürst ihren Peiniger wiedererkannt
hatte, fühlte sie sich danach umso lebendiger. Das stundenlange Gespräch mit Catharine,
das sie gewärmt hatte wie eine wohltuende Suppe nach einem langen Winterspaziergang.
Es war für sie wie das Erwachen aus einem tiefen Schlaf, wie der lichtbringende
Morgen nach der Nacht. Nun sollte der Neuanfang beendet sein, bevor er richtig begonnen
hatte. Sie sollte aufs Neue gequält werden, so wie in ihrer Kindheit, als man verschiedene
Apparaturen an ihrem Körper angeschlossen hatte, um ihre Schmerzgrenze ›wissenschaftlich‹
zu ermitteln. Um ihr am Ende, wenn ihr Potenzial verbraucht war, eine Spritze zu
geben, um sie wie einen räudigen Köter einzuschläfern.
    Emilie Braun
alias Hedwig Strocka fehlte erneut die Kraft, sich zur Wehr zu setzen.
    »So, Leute,
nun kommt schon. Wer will der Erste sein? Wer möchte sich ein wenig mit mir vergnügen?
Heute Abend werden wir sowieso nur einen von euch schaffen. Die anderen beiden können
sich also entspannen und sich auf Morgen freuen.« Dräger blickte mit glasigem Blick
im Raum umher. »Na schön. Wenn sich keiner von euch freiwillig meldet, muss ich
eben einen raussuchen. Wir lassen das Los entscheiden. Ich finde, das ist fair.«
Dräger legte die mittelalterliche Greifzange auf den Boden und ließ Pohlmann nicht
eine Sekunde aus den Augen. Er zog aus seiner Hosentasche eine Schachtel Streichhölzer
hervor und nahm drei davon heraus. Einen knickte er zur Hälfte ab. Er versteckte
sie so in seiner linken Hand, dass man nur die roten Köpfe sehen konnte. Jeder in
der Zelle kannte dieses Ritual aus seiner Kindheit. Doch diesmal war es mehr als
die Wahl zu einer Mutprobe. Das kleine, abgebrochene Streichholz sollte über Leben
oder Tod entscheiden.
     
    *
     
    Dräger spazierte selbstgefällig
in dem kleinen Raum umher, wobei er die Waffe in jede Richtung schwenkte, um einen
Fluchtversuch in kürzester Zeit beenden zu können. Zuerst ließ er Emilie ein Streichholz
ziehen. In einer fahrigen Bewegung zog sie an dem Kopf des Holzes und erwischte
ein langes Exemplar. Es entwich ihr kein erleichterter Atemstoß aus den Lungen oder
ein befreiendes Stöhnen. Sie entspannte lediglich ihre Stirnfalten ein wenig. Sie
spürte, dass dies nur ein kurzer Aufschub des Unausweichlichen gewesen war.
    Dräger streckte
seine linke Hand Feldmann entgegen. Er hasste Priester, und am liebsten hätte er
ihn zuerst für die Befriedigung seiner Gelüste erwählt, doch das würde das Spiel
zu schnell beenden. Feldmann verlor jegliche Gesichtsfarbe. Er war einem Nervenzusammenbruch
nahe. In seinem Inneren murmelte er halbherzige Gebete, er war derart nervös und
paralysiert, dass ihm selbst dazu die Kraft fehlte. Nun war er an der Reihe, ein
Streichholz von den noch zwei verbliebenen zu ziehen. Eine Chance von 50 zu 50.
Heute gequält

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