Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
bedächtig an die geschwollenen und aufgeplatzten Lippen, an denen
getrocknetes Blut klebte. Feldmann beobachtete, wie Martin mit der linken Hand geschickt
eine Schmerztablette aus der Verpackung drückte, sie in den Mund schob und sie mit
dem ersten Schluck einnahm. Dann schüttete er den Rest des eiskalten Wassers die
Kehle hinunter. Alois gab Emilie das andere Glas. Sie nahm es und trank. Sie schenkte
ihm zu seinem Erstaunen ein dankbares Lächeln. Er ging in die Hocke und testete
mit dem bereitgelegten Löffel den unförmigen Brei, der wie lieblos auf den Teller
geklatscht wirkte. Alois führte den Löffel bedächtig an seinen Mund und kostete.
Er rechnete nicht damit, vergiftet zu werden, was würde es für einen Sinn machen,
Leichen zu foltern.
Feldmann
bewegte den lauwarmen Brei auf der Zunge.
»Es ist
Haferbrei«, sagte er emotionslos. »Ein bisschen fad, ohne Zucker und nur mit Wasser
zubereitet, aber es wird uns trotzdem helfen, bei Kräften zu bleiben.« Er reichte
Martin den ersten Teller, Emilie den zweiten und setzte sich auf den Boden mit seinem
eigenen. Die Portionen waren alle gleich groß. Still löffelten sie den Brei, der
sie am Leben hielt.
»Warum versorgt
er uns, wenn er uns töten will?«, fragte Feldmann, nachdem er den Teller aufs Tablett
gestellt hatte.
Pohlmann
hatte Mühe zu sprechen. Seine Lippen schwollen weiter an. Zum Glück begann die Tablette
zu wirken. Der Schmerz wich einem dumpfen Wattegefühl.
»So macht
es ihm mehr Spaß«, antwortete Martin und erschrak, als er seine eigene gebrochene
Stimme hörte. »Einen schwachen Menschen zu foltern, ist nicht wirklich schwierig,
oder? Er will seine Überlegenheit und seine Macht so lange wie möglich auskosten,
und das kann er am besten, solange wir halbwegs bei Kräften sind. Er will mit uns
spielen.«
»Was macht
es für einen Unterschied, ob er hungrige oder satte Opfer foltert.« Feldmann bekam
eine weinerliche Stimme. »Das alles hier macht doch keinen Sinn.«
Pohlmann
stöhnte laut auf, als er mit der verletzten Hand an den Bettrahmen stieß. Ein unartikuliertes
Fluchen folgte. »Was ist hier schon normal? Der Mann ist völlig krank. Ein Psychopath,
wie er im Buche steht, und sobald ich eine Gelegenheit dazu bekommen werde, werde
ich ihm alle Knochen im Leibe brechen, und zwar genau so, wie er sie mir gebrochen
hat.«
»Glauben
Sie wirklich, dass Sie dazu noch in der Lage sein werden? Mit der linken Hand dürfte
Ihnen das wohl kaum gelingen.«
»Ich bin
Linkshänder. Meine rechte Hand war auch vorher so gut wie zu nichts zu gebrauchen.
Ich schieße mit links und, zumindest war das früher mal so, meine Schlaghand war
immer meine linke.«
»Sie meinen,
Sie könnten dieses Monster mit einer Hand außer Gefecht setzen?«
»Ich hatte
vor fünf Jahren in unserer Boxmannschaft den härtesten Schlag mit meiner Linken.
Meine Führhand ist die rechte, ziemlich schwach sogar, aber meine linke …« Martin
blickte zu Boden. »Allerdings ist das fünf Jahre her. Inzwischen bin ich ein Weichei
geworden. Hab in Ecuador zehn Kilo zugenommen.« Martin fixierte Feldmann einäugig.
»Trotzdem müsste der Bewegungsablauf noch hier drin sein.« Er tippte sich mit einem
Finger der linken Hand gegen die Stirn. »Ich brauche nur einen einzigen Schlag gegen
seinen Kehlkopf, gegen das Kinn, oder einen wirklich kräftigen gegen die linke Brust.«
»Auf Höhe
des Herzens. Ja, das hab ich mal im Fernsehen gesehen.«
»Genau.
Das reicht für eine Schrecksekunde. Und bevor er sich wieder aufrappelt, hab ich
die Waffe in der Hand.«
»Könnten
Sie ihn erschießen?«
Eine längere
Pause entstand. »Der Kerl ist eine widerliche Missgeburt und hat schon ein paar
Menschen auf dem Gewissen. Niemand würde dem eine Träne nachweinen, wenn es ihn
nicht mehr gäbe.«
»Ja, aber
könnten Sie derjenige sein, der ihn tötet? Könnten Sie sein Henker sein?«
»Hören Sie,
Feldmann. Ich habe bisher noch keinen Menschen im Dienst erschießen müssen und bin
auch nicht scharf drauf, damit anzufangen, aber bevor er mich und Sie beide umbringt
und ich die Gelegenheit dazu bekäme, dem Ganzen ein Ende zu machen, indem ich ihn
töten muss. Ja, dann werde ich es tun. Außerdem ist es meine Pflicht als Polizist.
Ich werde danach eine Weile drüber nachdenken und zu dem Ergebnis kommen, dass die
Welt ohne den Kerl nicht ärmer ist, und den Scheißkerl vergessen.«
»Vielleicht
gibt es ja eine andere Möglichkeit.«
»Wie meinen
Sie das?«
»Ich habe
einen
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