Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
seine Kissen fallen und wartete. Werner hatte
es nicht sonderlich eilig, als wäre der Fall soeben gelöst worden und die Zeit der
Entspannung gekommen. Beide wussten, dass dem nicht so war.
»Nachdem
du mit Emilie vom Parkplatz gefahren bist, war ich stocksauer auf dich.«
»Und ich
auf dich«, fügte Martin hinzu.
»Aber dann
hab ich mir deine Unterlagen angesehen und allmählich die Zusammenhänge kapiert.
Ich benahm mich Schöller gegenüber so, als würde ich an einem anderen Fall arbeiten.
In Wirklichkeit hab ich mich erst an diesem Tag richtig reingekniet, und ich muss
sagen, deine Vermutungen bestätigten sich in fast allen Punkten. Ich habe die Verbindung
von Schöllers Großvater zu Wegleiter gefunden. Es stimmt, der alte Schöller hat
Wegleiter zwei Mal aus Mangel an Beweisen rausgeboxt. Ein paar Jahre später das
Gleiche bei Fürst. Nach dem, was wir jetzt wissen, steht einer Anklage wegen eines
Verbrechens gegen die Menschlichkeit nichts mehr im Wege. Es gibt Hinweise, dass
Wegleiter in Italien 15 Menschen niedergemäht hat, obwohl sie sich schon ergeben
hatten. Es gab Zeugenaussagen von italienischen Bürgern, die das Gemetzel aus der
Deckung heraus verfolgt haben. Entweder wurden sie im Lauf der Jahre umgebracht
oder sind an den Folgen des Krieges gestorben. Zwei Zeugen sind 1963 und 1967 vor
Gericht aufgetreten und haben ausgesagt. Schöllers Großvater hat ihre Aussagen nicht
zugelassen oder ihnen keine Beachtung geschenkt. Und jetzt kommt der Knaller: Professor
Keller war wie besessen davon, Beweise für Wegleiters Schuld zu finden und ihn zu
überführen. Dass Wegleiter gleichzeitig der Vater von Alois Feldmann und Ursula
Seifert ist, war nur ein Nebeneffekt seiner Ermittlungen. Er hat über alle Ergebnisse
akribisch Tagebuch geführt und sogar Schnipsel von alten Fotos, angebrannte Dokumente
und vergilbte Papiere sortiert und hier drin eingeheftet.« Werner zog im Triumph
einen blauen Leitz-Ordner aus der Tasche. »Das sind die Unterlagen, die Dräger bei
Professor Keller gefunden hatte, bevor er ihm die Pistole an den Kopf gesetzt hat.
Er sollte die Dokumente an seinen Auftraggeber übergeben, aber er wollte offenbar
ein Ass im Ärmel behalten. Dräger wollte den alten Wegleiter damit erpressen, und
ich schätze, der Alte dürfte froh sein, dass Dräger tot ist.«
»Wow, Werner.
Ich bin echt beeindruckt. Und wie hängt die Kaschewitz da mit drin?«
Werner feixte.
»Ich schätze, da würdest du nie drauf kommen. Ich bin vor sechs Tagen, an dem Abend,
als du verschwunden bist, Annegret Kaschewitz nach der Arbeit gefolgt. War so ein
Gefühl, weißt du. Ich dachte mir, mit der stimmt was nicht. Ich hinterher – und
eines kann ich dir verraten. Sie ist nicht nach Hause gefahren.«
Martin verdrehte
das gesunde rechte Auge und verzog den Mundwinkel. »Also, wohin ist sie gefahren,
Herr Oberkommissar Hartleib?« Werner griff erneut in die Tasche und holte einen
braunen Umschlag hervor.
»Als du
in Ecuador warst, hab ich mir ein neues Hobby zugelegt. Ich fotografiere jetzt.
Eine Canon mit ’nem Teleobjektiv von Leica. War eigentlich für Tieraufnahmen aus
dem Unterschlupf heraus gedacht, aber an dem Tag hatte ich die Kamera im Kofferraum.
Ich also hinterher, und was glaubst du, wohin ist sie gefahren? Na?«
»Menschenskind,
das weiß ich nicht. Also, wohin?«
»Sie ist
zur Klinik von Fürst gefahren. Erst hab ich gedacht, na ja, sie will sich als Krankenschwester
einen neuen Job suchen. Hat vielleicht die Nase voll von der Psychiatrie. Könnte
man ja verstehen, aber dann, als sie ihre alte Karre auf dem Parkplatz geparkt hat,
ist sie nicht in die Klinik reingegangen. Sie ist aus dem Wagen gestiegen und vor
ihrem Auto wie ein Tiger im Käfig patrouilliert. Und dann kam jemand aus der Klinik,
den ich erst gar nicht erkannt hab, weil ich wie wild auf den Auslöser gedrückt
hab. Ein Kerl mit ’nem weißen Kittel und schwarzen Haaren.«
»Fürst junior«,
unterbrach ihn Martin.
»Genau.
Erst haben sie rumgeknutscht und dann aufgeregt gequatscht. Und schließlich haben
sie sich gezankt wie ein altes Ehepaar. Ich konnte die Stimme von Fürst bis zu meinem
Wagen hören.« Werner tippte mit dem Finger auf den braunen Umschlag. »Ist alles
hier drin.« Martin riss den Umschlag an sich.
»Zeig her!«
Ungelenk zog er mit einer Hand die Hochglanzfotos aus dem Umschlag und legte sie
vor sich auf die Bettdecke. Dann fiel ihm der Unterkiefer aus der Verankerung. Ein
Foto nach dem anderen, in perfekter
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