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Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Gustmann
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schätze, dann würden wir
hier nicht miteinander quatschen können. Das war wohl Schicksal – oder wie würden
Sie das nennen?«
    Feldmann
hob die Schultern. »Ich müsste sagen, göttliche Fügung. Keine Ahnung. Fest steht,
dass wir noch nicht sterben sollten, und dafür danke ich Gott mit jedem Atemzug.«
    »Machen
Sie nur so weiter, Feldmann, und Sie machen noch einen Christen aus mir.«
    »Das wär
doch nicht das Schlechteste, oder?«
    Martin wurde
nachdenklich. »Ach, wissen Sie. Eigentlich wollte ich Gott eher den Rücken zukehren.
Nachdem das mit Sabine …« Die Worte stockten in seinem Hals und die Augen wurden
feucht. Die Zeit im Verlies und der Kampf auf Leben und Tod hatten altes Packeis
in ihm zum Schmelzen gebracht.
    »Ich war
nicht ganz unschuldig an ihrem Tod, wissen Sie. Ich bin gefahren und hab zu spät
reagiert, als der Laster kam. Genau genommen, war Dräger schon der zweite Mensch.«
    »Wie lange
ist das jetzt her?«
    »Zwei Jahre,
sieben Monate und vier Tage.« Martin blickte auf die Uhr an seinem Handgelenk. »Und
18 Stunden.«
    »Sie sind
immer noch nicht fertig mit dem Thema, was?« Martin nickte kaum merklich und blickte
auf seine bandagierten Finger.
    »Sie haben
sich noch immer nicht vergeben, stimmt’s?«
    »Kann ich
das überhaupt, wenn ich genau weiß, dass, wenn ich nicht so ein Idiot gewesen wäre,
Sabine noch leben würde?«
    »Wenn Sie
Frieden in Ihrem Herzen finden wollen, müssen Sie lernen, sich und anderen zu vergeben.
Sie müssen Ja sagen zu Ihrer Geschichte, zu Ihrer Biografie eben. Zu Ihrem ganzen
Lebenslauf. Wie alles in Ihrem Leben gekommen ist, vom Anfang bis zum Ende.«
    »Ich hab
mir tausendmal gesagt, dass ich nichts dafür konnte. Der LKW-Fahrer war viel zu
schnell. Er war übermüdet, weil er die Nacht durchgefahren ist. Er hat gegen zig
Regeln verstoßen und trotzdem. Hätte ich auf das Bier und den Grappa verzichtet,
wären meine Reaktionen wahrscheinlich besser gewesen.«
    »Haben Sie
schon einmal daran gedacht, dass Sie gar nicht besser reagieren sollten ?«
    »Das ist
doch absurd«, erwiderte Martin entrüstet.
    »Wir wissen
nicht, wann unsere Uhr abgelaufen ist. Man stirbt so oder so, auf die eine oder
andere Weise. Daran können Sie auch nichts ändern. Auch wenn Sie auf Ihr
Bierchen verzichtet hätten. Dann wäre Ihre …«
    »Verlobte.«
    »… Ihre
Verlobte an einem anderen Tag gestorben und vielleicht auf viel schrecklichere Weise.
Wenn Sie das begriffen haben, können Sie sich von Ihrer Schuld befreien. Und wenn
Sie sich schuldig fühlen, können Sie zwar Ihre Verlobte nicht um Vergebung bitten,
aber Sie können Gott darum bitten – und er wird Ihnen vergeben.«
    »Einfach
so?«
    »Einfach
so. Ohne Vorleistung. Die hat Jesus nämlich am Kreuz schon erbracht. Sie müssen
nur glauben. Das ist alles.«
    Martin lachte
auf, jedoch ohne Spott in seiner Stimme. »Das ist alles? Ich würd ja gern glauben,
aber so einfach ist das nicht.«
    »Doch, ist
es. Gott will nicht, dass wir es schwer haben, zu ihm kommen zu können. Es ist nur
in unserem Kopf so schwer, nicht aber in Gottes Kopf, sozusagen. Er hat dafür gesorgt,
dass wir es leicht haben.«
    »Weil Jesus
es schwer hatte?«
    »Genau.
Schauen Sie. Auch ich musste lernen zu vergeben.« Feldmann versank einen Augenblick
in Gedanken. Er fuhr fort. »Ich hab nie einen echten Vater in meinem Leben gehabt.
Ich hatte Pflegeeltern, so wie die anderen, die aus einem Lebensbornheim kamen,
aber das ist etwas anderes als ein leiblicher Vater. Ich musste schmerzlich realisieren,
dass mich mein leiblicher Vater als Sohn gar nicht wollte, dass ich ihm egal war.
Dass ich aus Motiven gezeugt wurde, die mit Liebe nichts zu tun hatten. Was bin
ich? Das Ergebnis eines ideologischen One-Night-Stands, wie man heute sagt. Eine
schnelle Nummer. Dem Führer ein Kind schenken, ohne zu wissen, wie es sich entwickelt,
welche Vorlieben es entwickelt, welche Noten es in der Schule erreicht, wann es
seine erste Freundin hat und so weiter. Und trotzdem habe ich es irgendwann geschafft,
damit klarzukommen.«
    »Wie und
wann?«
    Feldmann
stöhnte. »Oh, das ist eine lange Geschichte. Ich denke, Sie brauchen Ihre Ruhe.«
    »Ach, Quatsch.
Ich habe über 14 Stunden geschlafen. Es ist okay. Erzählen Sie ruhig.«
    Feldmann
holte tief Luft und blickte in eine Ecke des Raumes. Gedanken an eine Zeit, die
50 Jahre zurücklag, stiegen wie träge Blasen aus dem Untergrund auf. »Nach dem Abitur
hat mir mein Pflegevater auf dem Sterbebett gestanden,

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