Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
dass er nicht mein richtiger
Vater sei, dass er auch nicht genau wüsste, wer es überhaupt war, und dass meine
angebliche Mutter auch nicht meine Mutter sei. Ich wäre in einem elitären Naziheim
zur Welt gekommen und müsse mich damit abfinden, es nie herauszubekommen, wer meine
wahren Eltern seien. Vermutlich sei mein Vater sogar ein SS-Angehöriger gewesen
wie die meisten anderen Väter der Lebensbornkinder auch. Dann hauchte er seinen
letzten Atemzug aus und ließ mich allein zurück. Ich war gerade 19 Jahre alt, hatte
seit zwei Wochen mein Abitur in der Tasche und fuhr mein Traumauto, einen alten
VW-Bus. Die Welt, die eine Stunde zuvor noch intakt und rund war, brach mit einem
Mal zusammen. Ich fühlte mich verraten und verkauft und packte meine Sachen. Ich
kratzte all mein Geld zusammen und ging mit 500 DM in der Tasche für ein paar Jahre
fort. Zunächst fuhr ich mit dem Wagen umher. Ich reiste durch die Weltgeschichte,
schlief in dem Bulli und jobbte, wo immer ich Arbeit bekam.«
Feldmann
räkelte sich auf dem unbequemen Stuhl und wechselte seine Position.
»Zunächst
reiste ich nach Indien. Ein Freund von mir war zwei Monate zuvor dorthin gefahren,
um sein Glück zu suchen. Also reiste ich ihm nach und fand ihn schließlich in einem
Ashram, einer Art Wohngemeinschaft und Meditationszentrum in Ahmedabad, wo jeder
mit jedem schlief und meinte, das sei die wahre Freiheit. Mein Freund Horst war
bis unter die Schädeldecke mit halluzinogenen Pilzen abgefüllt und ignorierte mich.
Erst dachte ich, das ginge vorüber, doch seine Persönlichkeit hatte sich in kurzer
Zeit derart verändert, dass ich für ihn keine Rolle mehr spielte. Er erkannte mich
zwar, aber ich fand keinen Zugang mehr zu seinem Inneren.«
»Was geschah
dann?«
»Frustriert
zog ich weiter. Ich wollte den Hinduismus kennenlernen. Die Menschen, die ich traf
oder die mich für eine kurze Zeit zu Hause aufnahmen, glaubten an die Seelenwanderung,
das heißt, dass man, falls man sich in diesem Leben nicht bewährt hatte, im nächsten
Leben als Fliege, Kröte, Frosch, Ratte oder Kuh zur Welt kommt. Eine Zeit lang lebte
ich in Indien auf der Straße. Ich fragte mich damals, warum manche Menschen inmitten
des Höllenlärms auf Verkehrsinseln schliefen.«
Pohlmann
sah ihn fragend an.
»… weil
dort keine Ratten hinkamen. Ratten galten als heilige Tiere, die nicht getötet werden
durften. Sie hätten ja die Reinkarnation eines Menschen sein können. Also vermehrten
sich diese gefräßigen Tiere unaufhaltsam und knabberten meist obdachlosen kleinen
Kindern im Schlaf an den Beinen oder Armen. Nur eben auf den Verkehrsinseln nicht,
dort wären sie längst überfahren worden.« Feldmann schüttelte den Kopf und lachte.
»Oder nehmen wir die vielen Rinder. Es gibt 30 Millionen Rinder in Indien, die aber
nicht getötet werden dürfen, obwohl die Bevölkerung Hunger leidet und dringend Nahrung
bräuchte. Na ja. All das leuchtete mir nicht ein und stellte mich auf meiner Suche
nicht zufrieden. Ich verkaufte meinen VW-Bus und flog mit dem Geld nach Japan, um
im Buddhismus mein Heil zu suchen. Ich wollte die größte Buddhafigur sehen, die
jemals errichtet worden war, und die stand in Nara. Ich dachte, je größer, desto
besser und desto intensiver müsste man hier die spirituelle Energie spüren, die
von der Statue ausgeht. Ich verbrachte mehrere Tage hintereinander im Todaiji-Tempel
und hockte vor dieser 16 Meter hohen Bronzefigur, doch da war nichts, was mich innerlich
anrührte, was mein inneres Vakuum ausfüllte. Ich studierte die Lehren von Buddha.
Ich beobachtete die Menschen, die in den Tempeln Räucherstäbchen und Kerzen zu Ehren
der Gottheiten anzündeten, um sie zu besänftigen, um Unheil abzuwenden oder dergleichen.
Ich lebte für drei Monate in einer Familie, die einen gigantischen Hausaltar hatte,
an dem sie die Verstorbenen anbeteten und verehrten. Man glaubte, dass an ihrem
Todestag die Geister der Toten kommen und sich in der Wohnung aufhalten. Man legte
ihnen Reiskörner hin, um sie zu versorgen, denn in der Hölle ging es ihnen nach
buddhistischem Verständnis ziemlich schlecht. Ich wurde innerlich immer leerer und
verließ Japan. Später bereiste ich Afrika, wo ich in Nordkamerun mehr denn je mit
unzähligen Göttern und Geistern konfrontiert wurde. Die Verehrung dieser Naturgeister
machte mir mehr Angst, als dass es mir Frieden brachte. Mit einem Wort: Ich hatte
die Nase voll von Polytheismus, Hinduismus, Buddhismus, von der Wiederkehr
Weitere Kostenlose Bücher