Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
der Seele
als Ratte oder Frosch oder diesen Dingen. Für mich war das nichts. Es gab mir nichts,
und ich konnte mich nicht darin wiederfinden. Ich war verzweifelt und hatte keinerlei
Perspektive. Erst, als ich wieder in Deutschland war, kam ich zur Ruhe. Obwohl ich
in meinem Land dem christlichen Glauben schon immer am nächsten war, musste ich
erst um die ganze Welt reisen, um zurückzukommen und festzustellen, dass ich nicht
hätte wegzufahren brauchen. Ich machte einige Tage Rast in einem Kloster in Süddeutschland
und muss einen fürchterlich bemitleidenswerten Eindruck auf den Abt gemacht haben.
Na, jedenfalls hatte er sich auf die Fahne geschrieben, sich besonders um mich zu
kümmern. Eigentlich wollte ich nur ein paar Tage meine Ruhe haben und mit niemandem
sprechen, doch andererseits hatte ich tausend Fragen. Er beantwortete sie mir alle,
und nach zwei Wochen in diesem Kloster kam zum ersten Mal so etwas wie wahrer Frieden
in mein Herz. Es dauerte noch zwei weitere Monate, bis ich mir sicher war, aber
innerhalb dieser Mauern lernte ich einen Gedanken kennen, der mich bis heute begleitet
und der meine Vergangenheit als uneheliches Lebensbornkind geheilt hat.« Feldmann
machte eine Atempause und bemerkte, wie aufmerksam Martin ihm zuhörte. »Ich kannte
meine leiblichen Eltern nicht und bin, ohne meine Wurzeln zu kennen, aufgewachsen.
Ich ging davon aus, dass mein irdischer Vater mich weder aus Liebe gezeugt hatte
noch mich in meinem weiteren Leben je geliebt hat. Abt Franziskus hat mich gelehrt,
dass es einen Gott gibt, der mich als Vater dennoch liebt und zwar uneingeschränkt
und bedingungslos. Dies war mein schönster Gedanke, seitdem ich 24 war, und auf
diesen Gedanken habe ich mein Leben als Theologe aufgebaut. Ich konnte mit meiner
Vergangenheit Frieden schließen und sie ruhen lassen, bis schließlich Hans Keller
auf mich zukam und diesen Prozess anstrebte und wie besessen nach seinen und unser
aller Wurzeln zu suchen begann.«
Feldmann
rutschte auf seinem Stuhl unruhig hin und her. Dann fuhr er fort. »Eigentlich war
Keller selbst als Psychiater auf der Suche nach dem, was ich schon gefunden hatte,
doch das war ihm viel zu einfach. Sein Friedensplan war, psychologisch gesehen,
äußerst komplex und schloss die vollständige Rehabilitation und die Wiedergutmachung
mit ein. Erst dann könnte man möglicherweise mal über Vergebung nachdenken, aber
ganz sicher nicht vorher. Ich glaube, er hat unter dieser Suche nach seinen Eltern
mehr gelitten, als dass es ihm geholfen hatte. Und er hat die anderen alle mit hineingezogen.«
»Und jetzt
sind die meisten von ihnen tot.«
»Woran Keller
sicher nicht schuld war. Er wollte ihnen helfen, zu heilen Persönlichkeiten zu werden.«
»Bitte seien
Sie mir nicht böse, Herr Feldmann, aber ich kann Ihnen nicht mehr zuhören. Mir brummt
der Schädel und auch diese Pumpe, die mir Schmerzfreiheit in der Schulter garantieren
soll, funktioniert offenbar nicht so, wie sie sollte. Aber ich verspreche Ihnen,
dass ich über all das nachdenken werde, was Sie erzählt haben. Zeit hab ich hier
ja genug dazu.«
Kapitel 63
Hamburg-Eppendorf, 18. November
2010
Wenige Minuten später fielen Martins
Augen zu. Sofort huschten die Bilder der vergangenen Tage an ihm vorbei und mischten
sich mit Fantasieprodukten seines Gehirns. Fünf Menschen, einschließlich des Mörders,
waren in den letzten Tagen auf grausame Weise gestorben, und der Kontrast zu Martins
Leben in Ecuador hätte nicht größer sein können. Alles in seinem Körper sehnte sich
nach Ruhe, doch diese war ihm noch nicht gegönnt. Wie in einem Traum klingelte etwas
von Ferne, und erst spät realisierte Martin, dass es sein Diensthandy war, das ihn
gnadenlos in die Realität zurückzerrte.
Mürrisch
öffnete er die Augen und griff mit der linken Hand nach dem vibrierenden Gerät.
Es bewegte sich bei jedem Klingelton immer mehr in Richtung der Kante des Beistelltisches
und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich unter Schmerzen umzudrehen und nach
ihm zu greifen. Am liebsten hätte er es einfach klingeln lassen, doch den Sturz
auf den Fliesenboden hätte das japanische Gerät vermutlich nicht überlebt.
»Hallo«,
meldete er sich, und ein Ächzen begleitete die Annahme des Gespräches.
»Martin,
ich bin’s noch mal. Werner.«
»Ich habe
es fast befürchtet. Bin ich eigentlich rund um die Uhr im Dienst?«
»Ich würde
nicht anrufen, wenn es nicht wirklich wichtig wäre.«
»Na gut.
Schieß
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