Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
doch anonym zu. Übermorgen
komme ich hier raus, muss dann aber eigentlich zur Reha. Ich kann mich kaum rühren.
Mir wird trotzdem schon was einfallen. Du, und achte darauf, ob dir jemand folgt.
Und benutze dein Handy für Telefonate, am besten ein uraltes.«
»Ja, so
eins hab ich noch,’n Nokia. Das kann nur telefonieren, sonst nichts.«
»Genau das
Richtige. Also dann. Ruf mich an, wenn du was weißt. Ach, und noch was. Sorge dafür,
dass Dräger obduziert wird. Schaffst du das?«
»Keine Ahnung.
Ich will’s versuchen.«
»Ach, und
Werner …«
Werner verdrehte
die Augen am anderen Ende der Leitung.
»Geh doch
bitte zu meiner Nachbarin. Sie heißt Irene Hilgenstock und müsste schon längst die
Unterlagen aus dem Bundesarchiv zugeschickt bekommen haben. Du weißt schon, die
Sachen, die mir geklaut wurden, bevor ich sie mir ansehen konnte. Ich hatte leider
in den letzten Tagen keine Gelegenheit, sie abzuholen, wie du weißt.«
»Geht klar.
Ich kümmere mich um alles.«
Martin drückte
die Stopp-Taste und ließ den Kopf tief in die Kissen fallen. Er schloss die Augen.
Er war von seinem Job suspendiert worden, dem er eh am liebsten den Rücken kehren
wollte. Würde er die Suspendierung widerspruchslos hinnehmen, käme das einem Schuldeingeständnis
gleich, doch würde er sie nicht hinnehmen, würde er sich in der Konfrontation mit
dem Polizeipräsidenten gehörigen Ärger einhandeln.
Dieser Ärger
würde jedoch auf Gegenseitigkeit beruhen, darüber bestand kein Zweifel.
Über diesen
Gedanken schlief Martin Pohlmann endlich ein. Die Lider begannen zu zucken, die
Augen rollten heftig von einer Seite zur anderen. Reizüberflutung, würden Stressmediziner
diesen Zustand kommentieren. Der tiefe Schlaf, der ihm die benötigte Erholung bescheren
würde, stellte sich ein.
Er schlief
so fest, dass er nicht hörte, wie es an der Tür klopfte. Niemand außer dem Klinikpersonal
und den Assistenten, die der Visite beigewohnt hatten, wusste, dass Kommissar Pohlmann
auf dieser Station in Eppendorf lag. Und doch war es jemandem gelungen, seinen Aufenthaltsort
ausfindig zu machen. Dieser Jemand schlich nun ins Zimmer hinein und betrachtete
einen tief und fest schlafenden Polizeibeamten, der einigen Menschen gehörig auf
die Füße getreten war. Doch nun lag er hilflos und eingegipst in seinem Bett und
würde ein leichtes Opfer abgeben.
Kapitel 64
Hamburg-Eppendorf, 18. November
2010
Martin erwachte mit einem Ruck.
Der Schreck über die Berührung an seiner Schulter ließ seinen Puls in die Höhe schnellen,
und er schwitzte. Fieber begann sich in seinem Körper auszubreiten. Dem Besucher,
der ihn störte, der ihn an den Grenzen der Belastbarkeit antraf, wurde kein Handy
an den Kopf geworfen. Er wurde auch nicht mit unflätigen Schimpftiraden begrüßt,
sondern mit dem Lächeln von einem durch mannigfaltige Verletzungen geschwächten,
erstaunten und erfreuten alleinstehenden Mann.
Catharine
Bouschet hatte viele Telefonate führen müssen, um in Erfahrung zu bringen, wo der
Hauptkommissar Martin Pohlmann zu finden war. Ein eigenartiger Schleier der Verschwiegenheit
war über die Person des suspendierten Beamten gelegt worden. Bei Werner Hartleib,
dessen private Nummer sie im Telefonbuch fand, bekam sie die Information, die sie
dringend benötigte. Es waren viele Erklärungen am Telefon nötig gewesen. Werner
erinnerte sich daran, wie Martin ihm von ihr erzählt hatte, und gab ihr ohne Bedenken
die Adresse von Martins Aufenthaltsort.
Sie stand
am Fußende seines Bettes und blickte in ein nicht verbundenes gerötetes Auge. Eine
einzelne Träne löste sich vom Lidrand und kullerte die unrasierte Wange hinunter.
Unaufdringlich und ohne zu fragen, setzte sich Catharine auf die Bettkante. Sie
trug ihr Haar offen. Es lag wie ein glänzendes Tuch aus Kaschmir über ihren Schultern.
Der ihr eigene Körpergeruch drang wärmer und lieblicher in Martins Nase und zu seinem
Gehirn vor, als geniale Parfümeure dies hätten bewerkstelligen können. Alles an
ihr spendete ihm Trost und Genesung, vor allem diese geheimnisvollen Augen, die
sprachen, ohne dass sich die Lippen bewegen mussten. Diese Augen lächelten sanft,
die feinen Fältchen zogen Linien auf der weichen Haut wie handgeschriebene Sätze,
in denen die Erfahrung eines über 40 Jahre währenden Lebens zu lesen waren.
»Schön,
dass Sie da sind«, murmelte Martin, von dem die Anspannung der letzten Tage abzufallen
schien.
»Waren wir
nicht beim Du?«
Martin
Weitere Kostenlose Bücher