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Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Gustmann
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tun haben, dann würde ich
mich freuen, wenn Sie mich zu einem Ausflug begleiten würden.«
    Emilie schenkte
Martin einen durchdringenden Blick. Sie wollte nicht noch einmal auf leere Versprechungen
reinfallen. Der letzte Ausflug hatte ihr ein Verlies bei Wasser und Haferbrei eingebrockt.
    »Ich schulde
Ihnen noch das Meer.« Emilies Gesicht hellte sich auf. »Möchten Sie es sehen?«
    Alles an
Emilie Braun schien zu lächeln. Ihre faltigen Lippen, ihre sich kräuselnde Nase
und diese weitsichtigen Augen, die schon so unendlich viele Buchseiten in ihr Inneres
eingelassen hatten.
    »Holen Sie
sich einen warmen Mantel und eine Mütze. Es ist kalt draußen. Dann kommen Sie bitte
zum Ausgang. Ich möchte Dr. Schillig nicht so gern über den Weg laufen. Und wenn
Sie jemand fragt, wohin Sie gehen, sagen Sie einfach, sie möchten einen ausgedehnten
Strandspaziergang machen.«
    Emilie nickte
und tippelte noch schneller als zuvor und konnte es kaum erwarten, ihr Meer zu sehen.
    Während
der Fahrt mit dem Golf sah Emilie aus dem Fenster und bildete sich ein, mit jedem
Kilometer mehr, den sie zurücklegten, den Salzgeruch des Meeres intensiver riechen
zu können.
    Martin hatte
mit der linken Hand den Schalthebel auf D gestellt und lenkte den Wagen einhändig
aus der Stadt hinaus. Sie passierten Lübeck auf der A 1 und bogen bei Ratekau auf
die L 181 ab. Vorbei an Hemmelsdorf und Kleintimmendorf, bogen sie in die Bergstraße
ein, die sie zum Timmendorfer Strand bringen würde.
    Er stellte
den Wagen bei angenehmen fünf Grad und Sonnenschein auf einem vor der Stadt liegenden
Parkplatz ab, und zu seiner Überraschung hakte sich Emilie, als sie losgingen, bei
ihm unter. Mit jedem Schritt wuchsen ihre kindliche Neugier und Vorfreude auf das
Meer. Sie schien es tatsächlich zu riechen. Sie blieb stehen, schloss die Augen
und hob die gepuderte Nase in die Höhe. Sie schnüffelte wie ein Hund und grinste.
Die Erwartung trieb ihr Tränen in die Augen, die den Lidschatten ruinierten. Martin
zog ein Papiertaschentuch hervor und wischte ihr den schwarzen senkrechten Strich
von den Wangen.
    Sie gingen
weiter, ließen reetgedeckte Häuser links liegen und wussten sich, als sie in die
Strandallee einbogen, nur noch wenige Meter vom Meer entfernt. Der langersehnte
Moment war gekommen, als Emilie die Düne durchschritt und ein feines Rauschen vernahm.
Emilie Braun oder wie immer sie hieß erblickte mit knapp 71 Jahren das Meer.

Kapitel 66
     
    Timmendorfer Strand, 26. November
2010
     
    Eine Weile, die nie vergehen wollte,
standen sie da. Emilie ließ sich viel Zeit, die Umgebung in sich aufzunehmen. Martin
hatte gedacht, sie würde den Strand zum Wasser hinunterrennen. Vielleicht würde
sie lachend hüpfen und trotz niedriger Temperaturen den Wunsch haben, die Schuhe
auszuziehen, um den Sand zwischen den Zehen kribbeln zu lassen. Nichts dergleichen
tat sie. Sie stand eine halbe Stunde nur da und sah von links nach rechts und umgekehrt
die Strandlinie bis zum Horizont entlang. Sie brauchte diese Zeit. In ihrem Kopf
wurden alle Erzählungen aus ihren Büchern, in denen das Meer eine Rolle gespielt
hatte, lebendig. Martin zog sie behutsam weiter, bis sie zu dem Steg der Seebrücke
kamen. Hier verklärte sich Emilies Gesicht endgültig zu einem einzigen Lachen. Die
Erfüllung ihres Traumes schien sie zu überwältigen, sodass sie darauf mit einem
kindlichen Quieken und Gackern reagierte, nach dem sich die Leute umsahen.
    Als sie
die imposante Brücke betraten, testete Emilie mit einem Fuß, ob die Konstruktion
ihr Gewicht halten würde. Nie zuvor war sie über eine so große Brücke gegangen.
Ihr schien, als laufe sie über das Wasser, und in gewisser Weise war das auch so.
    Nach einem
zweistündigen Marsch am Strand, auf der Promenade und zurück setzten sie sich in
ein Lokal, selbstverständlich mit Blick aufs Meer. Sie saßen auf der Terrasse unter
einem gasbetriebenen Heizpilz, der behagliches Ambiente vermittelte. Martin bestellte
das Tagesgericht, eine Hühnerbrühe vorweg, anschließend Labskaus mit Spiegelei und
Gurken.
    Bei keinem
Bissen ließ Emilie das Meer aus den Augen, als wolle sie jede Sekunde, die sie ohne
diesen Anblick verbracht hatte, nachholen.
    Gesättigt
und glücklich lehnte sie sich zurück.
    Martin griff
in die große Innentasche seines Wintermantels und zog Emilies Kladde hervor.
    »Ich habe
alles gelesen.« Er betonte das Wort ›alles‹ wie ein Codewort, das sie sicher verstehen
würde.
    »Alles?«
    »Absolut.
Den

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