Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
hatte. Dort hieß es, dass
auf lange Sicht die Korallen wohl nicht durch die Erwärmung der Ozeane zerstört,
sondern zu Opfern der Versauerung der Meere würden. Und doch hatte man erst kürzlich
sechs neue Korallenarten in der Nähe der Galapagos-Inseln vor der Küste von Ecuador
entdeckt. Diese Arten zeichneten sich durch eine höhere Widerstandsfähigkeit gegen
die Erwärmung der Meere aus, und er, Martin Pohlmann, war Zeuge dieses Wunders gewesen.
Ihm kam es vor, als wäre dies in einem anderen Leben und nicht erst kurze Zeit zuvor
gewesen.
Pohlmann
seufzte und blickte aus dem Fenster seines Büros im siebten Stock des Polizeipräsidiums.
Die Tropfen prasselten an die Scheibe, was für Hamburger Verhältnisse weitgehend
normal war. Es fiel ihm schwer, in diese Art der Wirklichkeit zurückzufinden, denn
seine Auszeit war mehr als nur ein zweiwöchiger Urlaub auf Teneriffa gewesen. Es
war als ein vollständiger und endgültiger Ausstieg gedacht gewesen, ein Abbrechen
aller hinter ihm liegenden Brücken, ein Neuanfang, der in einem Desaster endete.
Und nun war er wieder hier in Hamburg, der Stadt, die er zwei Jahre zuvor auf immer
zu verlassen gedachte. Er fragte sich, ob es denn überhaupt einen Platz auf dieser
Welt gab, der eigens nur für ihn gedacht war. Ein Platz, den nur er besetzen könne
– nur Martin Pohlmann und sonst keiner.
Pohlmann beschloss, diesen philosophischen
Exkurs auf einen günstigeren Zeitpunkt zu vertagen, denn Kollege Schöller stand
im Türrahmen und betrachtete ihn seit geraumer Zeit. Jener Schöller, der seinen
Platz seit zwei Jahren eingenommen hatte und sich nun anderweitig beschäftigen musste,
da dieser brisante Fall Pohlmann übertragen worden war. Und dies, obwohl Schöllers
Vater, der Polizeipräsident höchstpersönlich, große Stücke auf seinen Sohn hielt,
wie Väter gemeinhin eben so sind. Er übersah dabei nur, dass sein Sohn nicht wie
er selbst zum Polizeidienst taugte. Es fehlten Schöller junior grundsätzliche Begabungen,
in erster Linie die Fähigkeit des taktischen Ermittelns, des empathischen Mitfühlens
mit einem Täter und viele andere essentielle Voraussetzungen, die man normalerweise
zur erfolgreichen Ausübung dieses Berufes brauchte.
Pohlmann
selbst entsprach ebenfalls nicht dem Abbild eines klassischen Polizeibeamten. Nie
trug er einen Anzug so wie Schöller. Selten eine Krawatte. Schöller immer. Meistens
trug er Cowboystiefel oder andere spitze Schuhe und Jeans. Das Haar war vor seiner
Abreise noch schulterlang, jetzt musste er es in ein Gummiband zwängen, um halbwegs
gesellschaftsfähig zu erscheinen. Schöller hingegen imponierte mit einer durchtrainierten
Figur, vollem, dunklem Haar wie ein stolzer Spanier und hätte sich ebenso für den
ortsansässigen Mode-Katalog ablichten lassen können. Aber nein, statt Rechtsanwalt,
Arzt oder gar Model musste er Kriminalist werden, weil Vati es so wollte. Doch von
einem Tag auf den anderen hatte sich alles für Schöller geändert. Pohlmann war zurück,
und man hatte ihm den aktuellen Fall übertragen. Was sollte er nun am Wochenende
auf Besuch daheim berichten? Dass er den Fall bravourös gelöst und ein großes Lob
von Lorenz, seinem Vorgesetzten, eingeheimst habe? Dass die Presse ihn voll Bewunderung
erwähnte und sich die Bürger Hamburgs bei solch einem Kommissar wieder sicher fühlen
durften? Diese Art Neuigkeiten konnte er seinem Vater nun nicht mehr präsentieren.
Martin Pohlmann fühlte sich keineswegs
davon gestört, dass Klaus Schöller ihn bei seiner Arbeit scheel von der Seite ansah.
Er packte einige Kartons aus und räumte seinen alten Schreibtisch wieder ein. Früher
stand ein Bild von Sabine auf dem Tisch. Jetzt blieb diese Fläche für eine kurze
Zeit leer. Schnell würde sie sich mit Akten und bunten Notizzetteln füllen.
Pohlmann
wusste um Schöllers Anwesenheit, vermied es jedoch aufzublicken und ihm direkt in
die Augen zu schauen. Er hatte von seinem Freund Hartleib gehört, wie es um Schöllers
Gemütsverfassung stand. Das Letzte, was Pohlmann nun gebrauchen konnte, waren Konflikte.
Er konnte die Probleme anderer ganz gut lösen. Fälle krimineller Natur, Schwierigkeiten
im eigenen Leben sollten besser noch eine Weile verstummen.
Pohlmann
zog eine Packung Zigaretten aus der Tasche, entnahm das darin verstaute Feuerzeug
und zündete sich die Kippe an. Langsam blies er den Rauch aus und drehte sich zu
Schöller um, der keinerlei Eile zu haben schien.
»Tut mir
leid, dass ich Ihnen
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