Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
den Platz streitig machen muss. Ich hab mir das auch nicht
ausgesucht, wie Sie wissen.« Pohlmann kniff die Augen zusammen und sah durch den
Nebel, der ihm die Sicht verschleierte, wie sich Schöller zwischen den Zargen des
Türrahmens aufbaute. Pohlmann beschloss, die friedliche Variante zu wählen.
»Schätze,
ich werde eine Weile benötigen, mich wieder zurechtzufinden, und könnte Ihre Hilfe
gebrauchen.« Schöller löste den Knopf seines Sakkos und verschränkte die Arme. Seine
Augen waren unter den buschigen, aber gut gepflegten Brauen zu einem dünnen Schlitz
verengt, ebenso wie seine Lippen. Alles an ihm deutete auf Konfrontation und Kampf
hin. »Hören Sie, Kollege Pohlmann … « Schöllers Intonation war provozierend
und aggressiv.
»Martin
…«, unterbrach ihn Pohlmann und nahm einen kräftigen Zug, dessen Rauch er in Schöllers
Richtung blies.
Schöller
begann aufs Neue, ignorierte das faire Angebot, legte seine Handflächen aneinander
und rieb sie bedächtig, auf der Suche nach den treffendsten Worten. »Es ist mir
egal, ob Sie hier mal ’ne große Nummer waren und angeblich die Statistik der gelösten
Fälle in Norddeutschland anführen.« Er hob den Zeigefinger und korrigierte sich.
»Anführten, müssen wir ja wohl sagen, bevor Sie krank wurden.« Den letzten Zusatz
betonte Schöller und ließ ihn eine Weile bei seinem Kontrahenten wirken. Er suchte
nach einem Weg, in der psychologischen Kriegsführung von Anbeginn an Punkte zu machen,
dem Gegner rechtzeitig zu demonstrieren, mit wem er es hier zu tun hatte. Fronten
klären, Reviere abstecken und all diese männlichen Dinge.
Pohlmann
hielt inne und legte in Ermangelung eines Aschenbechers die Kippe auf den Rand des
Schreibtisches. Dann stellte er den leeren Karton auf den Boden. Nun blickte er
Schöller direkt in die Augen und meinte, hinter diesem Tor zur Seele Gefühle wie
Furcht und Sorge eines kleinen Jungen zu lesen, der gegen die Autorität seines übermächtigen
Vaters ankämpfte. Er reagierte nicht mit Groll, wie er es früher getan hätte.
»Ich wünsche
Ihnen nicht, dass Sie mal einen Menschen verlieren, den Sie sehr lieben, mit dem
Sie alt werden wollten. Kinder, Reihenhaus und der ganze Kram. Ich wünsche Ihnen
auch nicht, jemals in eine tiefe Depression hineinzufallen. Man fühlt sich wie in
einem dunklen Kellerloch, aus dem man nicht mehr herauszukommen glaubt. Wo der Gedanke,
von einer Brücke zu springen, richtig attraktiv ist.« Pohlmann blickte zu Boden.
»So ein Ereignis kann einen manchmal tatsächlich krank machen, Herr Schöller.«
Schöller
schluckte, und sein Adamsapfel tanzte. Seine straffe Haltung erschlaffte. Er musste
sich eingestehen, dass er zwar die Schlacht noch nicht verloren hatte, aber dieser
Punkt ging ganz gewiss an Pohlmann, dem diese albernen Ränkespielchen vollkommen
gleichgültig waren. Der sollte hier einen Job machen, der ihm alles andere als behagte,
und fand in seinem Inneren keine Kraft für interkollegiale Kämpfe.
»Ja, ich
habe davon gehört und es tut mir leid, … das mit Ihrer Freundin.« Schöllers Worte
hätten Wärme und Mitgefühl ausdrücken können, doch so, wie Schöller sie aussprach,
entsprachen sie eher den Außentemperaturen.
»Verlobten!«,
korrigierte ihn Pohlmann.
»Ja, gut,
Ihrer Verlobten. Trotzdem. Von mir werden Sie keine Hilfe zu erwarten haben. Im
Gegenteil, Pohlmann. Ich werde Sie im Auge behalten, darauf können Sie Gift nehmen.«
Nun erwachte
der Zorn in Pohlmann, und er warf die Beherrschung über Bord. »Mann, Schöller, Sie
tun mir echt leid. Sie sind doch nur sauer, weil ich es auch ohne die Schützenhilfe
meines Alten auf diesen Stuhl geschafft habe. Sie sind einfach nur Söhnchen ,
mehr nicht. Und jetzt verlassen Sie bitte mein Büro.«
Schöller
drehte sich um und verschwand wortlos. Martin Pohlmann zog den schwarzen Bürosessel
vom Schreibtisch zurück und ließ sich hineinfallen. Er drehte ihn zum Fenster und
blickte hinaus. Das Trübe dort draußen entsprach dem Zustand in seinem Inneren.
Wenn ihm jemand in diesem Augenblick die Hand auf die Schulter gelegt und ihn gefragt
hätte, ob er auf eine lange Reise mitkommen wolle, eine Weltumseglung, eine Expedition
quer durch den Dschungel, er hätte eingewilligt.
Kapitel 12
Hamburg, 3. November 2010
Pohlmann bemerkte den sonderbaren
Geruch nach verbranntem Holz und fuhr erschreckt zu jener Ecke des Schreibtischs
herum, die von seiner vergessenen Zigarette an einer Stelle braun versengt worden
war.
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