Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
galt ihm
diese Ehre vor seiner Krise, und die ganze Abteilung harrte nun gespannt darauf,
ob Martin die Talsohle erfolgreich durchschritten hatte.
»Morgen,
Chef. Bevor Sie loslegen …, also, um es gleich auf den Punkt zu bringen, ich kann
diesen Fall nicht übernehmen.« Pohlmann überreichte seinem Chef die Unterlagen.
»Alles andere, aber, bitte, nicht innerhalb dieser Krankenhausmauern. Ich bin noch
nicht so weit, Chef. Lassen Sie das den tollen Schöller machen. Der Polizeipräsident
wäre begeistert.«
Lorenz hielt
in seiner Bewegung inne und starrte auf die Akte. Unmut stieg in ihm auf. »Jetzt
mal langsam, Martin. Ich habe Ihnen viele Jahre die Stange gehalten, trotz Ihrer
Eskapaden. Trunkenheit im Dienst, manchmal sogar bekifft, ganz zu schweigen von
Ihrer notorischen Unpünktlichkeit. Ich weiß, dass Sie anders sind als die typischen Polizeibeamten, doch ich weiß nicht, wie lange ich Sie noch protegieren kann,
trotz Ihrer Verdienste in der Vergangenheit. Ich war derjenige, der Ihnen die Therapie
nahegelegt hat, ich habe Ihnen Ihre Auszeit wirklich gegönnt und Ihren Trip ins
Paradies letztendlich erst ermöglicht, doch jetzt sind Sie wieder da und ich möchte,
dass Sie diesen Fall übernehmen.«
Einige Sekunden
ließ Lorenz seine Worte einwirken. »Ich hoffe, ich war deutlich genug.« Er hatte
zwischenzeitlich einen roten Kopf bekommen und gab Martin Pohlmann die Unterlagen
entschieden zurück.
»Außerdem
ist in der Zwischenzeit etwas passiert, was Sie interessieren dürfte. Der Anruf
vorhin kam von Dr. Schillig.« Lorenz setzte sich hinter seinen Schreibtisch und
verschränkte die Hände vor einem kleinen Bauchansatz. »Ich weiß nicht, wie Sie es
angestellt haben, doch Sie haben offenbar bei Emilie Braun einen gewissen Eindruck
hinterlassen.«
Pohlmann
bedachte Lorenz mit einem Blick, der Neugier verriet. Sollte die Lust am Ermitteln
wieder erwacht sein? »Ich? Eindruck?«
»Dr. Schillig
hat mir erzählt, dass Frau Braun sich schon wieder das Leben nehmen wollte. Sie
hat es irgendwie geschafft, die Binden von den Handgelenken zu lösen, und die alten
Wunden aufgerissen. Als man sie zum Glück noch rechtzeitig fand, lag sie wieder
mal in blutgetränkter Bettwäsche.«
Pohlmann
erinnerte sich noch gut an jene Binden um die Handgelenke. Erinnerungen, die ihm
unangenehm aufstießen. »Und? Was hab ich damit zu tun?«
»Sie hat
gesagt, sie würde sich nur dann am Leben lassen, wenn man sie mit Ihnen sprechen
lassen würde und mit sonst keinem.«
Lorenz sah
Pohlmann anerkennend an und wagte einen kleinen Scherz. »Sie haben ihr Herz im Sturm
erobert, mein Lieber.«
Pohlmann
wollte sich zum Gehen umwenden, um die Sache in seinem eigenen Büro zu verdauen,
doch Lorenz hielt ihn zurück. »Da ist noch etwas, was ich Ihnen sagen muss. Eigentlich
das Wichtigste von allem. Ich hätte es Ihnen gleich gesagt, wenn die Klinik nicht
angerufen hätte.«
»Also, dann.
Verschonen Sie mich nicht. Schenken Sie mir ruhig gleich voll ein am zweiten Tag.«
»Wir müssen
einen sehr wichtigen Termin einhalten.«
»Und der
wäre?«
»In gut
zwei Wochen, also am Samstag, dem 20. November, ist eine große Feier im Gedenken
an Professor Dr. Keller geplant. Einige Mediziner von der Ärztekammer werden Reden
halten, ihn posthum für sein Lebenswerk ehren und so weiter. Seine herausragenden
Verdienste um die psychologische und soziale Rehabilitierung der ehemaligen Lebensbornkinder
und diese Dinge. Mit lokaler Presse, Kapelle und allem Drum und Dran.«
»Wo ist
das Problem? Er hat sich das Leben genommen. Na und? Ist keine Straftat.«
»Ich nehme
nicht an, dass Sie das Tagebuch von Frau Braun schon gelesen haben. Also, es ist
so: Der dort arbeitende junge Psychiater, dieser Dr. Schillig, hat uns berichtet,
er habe beim Überfliegen der Einträge einige, na, sagen wir mal, pikante Passagen
gelesen. Doch es war ihm unangenehm, darin herumzuschnüffeln, und meinte, es sei
vermutlich das Beste, wenn die Polizei das lesen würde. Also hat er uns angerufen,
und Sie sind hin und haben es geholt.«
Pohlmann
schnaubte verächtlich. »Was kann schon Tolles darin stehen. Die Alte ist, ich sage
es mal nett, unzurechnungsfähig.«
»Trotzdem.
Stellen Sie sich vor, es entspräche der Wahrheit, dass Professor Keller, also der
Mann, dem man besondere Ehre zukommen lassen will, tatsächlich einen Mord begangen
hat.« Pohlmann nickte und begann, die Problematik zu begreifen.
»Ich hab
Ihnen von dem Prozess vor über zwei Jahren
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