Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
Halt machen, obwohl der
Prozess ohne die anderen Kläger immer unwahrscheinlicher wird.«
»Du meinst,
sogar Frau Braun ist in Gefahr? Die lebt doch schon unter Personenschutz, wenn man
so will. Da kommt doch keiner rein.«
Martin dachte
nach.
»Vielleicht
ja doch. Nach dem Mordversuch an Rohdenstock ist der Selbstmord von Keller mehr
als zweifelhaft, und sollte es Mord gewesen sein, ist schon mal einer in
die Anstalt reingekommen.«
Hartleib
drehte sich abrupt zu Pohlmann um. »Vielleicht muss er ja gar nicht reinkommen.
Vielleicht ist er ja schon drin. Vielleicht hat ja diese Emmi den Professor gekillt.«
»Blödsinn.
Warum sollte sie das tun? Er war ihr Therapeut. Ich habe sogar den Eindruck, er
war mehr als das. Sie nennt ihn in ihrem Abschiedsbrief mein Hans. Die beiden
müssen eine ziemlich enge Verbindung gehabt haben. Nein. Das kann ich mir nicht
vorstellen, obwohl es natürlich nicht gänzlich ausgeschlossen ist. Schließlich lebt
sie in einer Anstalt für psychisch kranke Menschen, von denen mancher so einiges
auf dem Kerbholz haben dürfte. Es könnten auch andere Patienten infrage kommen,
die mit der Behandlung des Professors nicht einverstanden waren oder die unter Medikamenteneinfluss
getötet haben.« Martin goss sich eine weitere Tasse heißen Tee ein. Ein Bier und
ein Schnaps wären ihm lieber gewesen, doch die hätten seiner Gesundheit und seinem
derzeit einigermaßen klaren Verstand den Rest gegeben. Plötzlich kam ihm ein Gedanke.
Ohne den Blick von seiner Tasse zu nehmen, sagte er mit leiser, bedächtiger Stimme:
»Mir ist heute erneut dieser Pfleger unangenehm aufgefallen. Dräger heißt der. Dieser
Typ, den Frau Braun nicht ausstehen kann, weil er sie nach ihren Worten lieber tot
als lebendig sehen würde. Er hat mich quasi erwischt, als ich im Büro von Professor
Keller herumgeschnüffelt habe. Hab ihm natürlich erzählt, dass alles seine Richtigkeit
hat, und ihn ein bisschen einschüchtern wollen. Eigenartig war nur, dass er so gut
wie keinen Respekt vor mir zu haben schien. Egal wie vertrauenswürdig ich aussehe,
ich bin Bulle, das steht auf meiner Marke, doch das juckte den gar nicht. Ein wirklich
merkwürdiger Typ, eiskalt, wenn du mich fragst. Und irgendwie passt der so gar nicht
in diese Abteilung, wo es darum geht, sich um diese armen Schweine zu kümmern.«
»Was hat
er sonst da zu suchen?«
»Tja, keine
Ahnung. Vielleicht ist alles nur eine Tarnung. Mal angenommen, die alte Emmi hat
recht mit dem, was sie sagt, und der Typ würde ihren Tod herbeiwünschen und sie
vielleicht zum Suizid animieren. Obwohl sie unter Bekloppten lebt, heißt das noch
lange nicht, dass sie nicht trotzdem die Wahrheit sagt, die ihr natürlich niemand
glaubt. Ist schon vertrackt. Alles, was sie sagt, wird zunächst einmal für Quatsch
gehalten, selbst wenn es die Wahrheit ist.«
»Echt miese
Situation.«
»Das hieße,
der Typ könnte sie verbal quälen, so viel er wollte, sofern sie allein wären und
es sonst keiner mitkriegt. Je mehr er sie peinigt, desto eher hat Emmi den Wunsch,
es jemandem zu erzählen. Der Annegret oder dem Professor oder dem neuen Psychiater
oder wem auch immer. Da ihr aber niemand glaubt, weil man sie für bekloppt hält,
gibt man ihr Medikamente, die sie ruhigstellen, und ihr Wunsch, sich das Leben zu
nehmen, wird wieder aktuell. Dann aber deshalb, weil sie aufgrund des Psychoterrors
durch einen anderen deprimiert ist.«
»Du meinst,
dieser Dräger bringt Frau Braun dazu, sich das Leben zu nehmen, ohne sich selbst
die Finger schmutzig zu machen? Aber warum? Was hat er davon, die Alte aus dem Weg
zu räumen? Die tut doch keiner Fliege was zuleide.«
»Du vergisst,
dass Emilie Braun eine ehemalige Klägerin ist. Sie lebt zwar in einer Klapse, aber
sie ist nicht entmündigt. Sie hat das Recht zu klagen, selbst wenn ein anderer ihr
alles vorkaut.«
»Aber der,
der ihr alles vorgekaut hat, wie du sagst, ist tot. Ohne Keller ist sie doch völlig
hilflos.«
»Tja, da
bin ich mir nicht so sicher. Ich weiß nur, je öfter ich mit ihr spreche, dass sie
zwar anders ist als alle Menschen, die ich kenne, aber blöd ist sie nicht. Ich habe
mir heute auf einem Fliesenboden in der Bibliothek den Arsch abgefroren und sie
hat mir alle Bücher gezeigt, die sie schon gelesen hat, und ich sage dir, das waren
verdammt viele. Mal abgesehen von all den Büchern, die sich in ihrem Zimmer stapeln.
Sie kennt alle großen und kleinen Schriftsteller, kann frei aus dem Gedächtnis daraus
zitieren, und
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