Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
ob Wendels Spuren auf die Flasche kommen konnten, ohne dass er sie angefasst hat. Das Ergebnis war eindeutig: Nein!«
Stephan blickte auf den Aktenstapel, den Trost ihm überlassen hatte. Er würde den ganzen Tag damit zubringen, alle Schriftstücke zu sichten, zu strukturieren, sich Notizen zu machen und weiterführende Fragen zu formulieren.
»Sie werden damals den Tatort besichtigt haben«, vergewisserte sich Stephan.
»Eine der wichtigsten Aufgaben zu Beginn der Verteidigung in einem Mordfall«, betonte Trost.
»Wären Sie so nett, mit mir die Besichtigung zu wiederholen? Vielleicht morgen Nachmittag, also am Freitag, so gegen 16 Uhr?«
»Freitag um 16 Uhr heißt übersetzt: Zu dieser Zeit ist nichts mehr zu tun«, lachte Trost und gab sofort nach. »Selbstverständlich gern, Herr Kollege! Ich sehe, Sie nehmen sich der Sache an. Gut so! Also morgen, 6. Juli, gegen 16 Uhr am Eingang zum Rombergpark, Höhe Torhaus.«
5
Stephan hatte sich bis zum nächsten Nachmittag durch Trosts Akten gearbeitet. Der Kollege hatte seine Unterlagen sauber und chronologisch geordnet. Über jedes Gespräch, welches er seinerzeit im Vorfeld des Prozesses mit seinem Mandanten Maxim Wendel, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht führte, gab es einen umfassenden Vermerk. Die Akte bildete einen kompletten Spiegel des seinerzeitigen Verfahrens und war für sich ein Lehrbeispiel für korrekte Unterlagenverwaltung. Stephan las selbstverständlich die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Wendel vor dem Dortmunder Schwurgericht beantragt hatte, und das ihr beigefügte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen, in denen die Staatsanwaltschaft ihre Sicht der Dinge und Würdigung der bis dahin erhobenen Beweise und Spuren dargelegt hatte. Die Hauptverhandlung gegen Wendel hatte rund drei Monate nach der Tat begonnen und sich über zehn Sitzungstage von Anfang November bis zum 19. Dezember hingezogen. Das Gericht hatte Sachverständige und Zeugen gehört, unter Letzteren insbesondere Michelle Crouchford und das ältere Ehepaar, Frau Annemarie und Herrn Heinz Brandstätter, die zufällig die Stelle im Park passiert hatten, wo Wendel sich an der Studentin vergangen haben soll. Man hatte auch die Mitarbeiterin des Cafés vernommen, in dem Wendel vor der Tat gesessen und die ihm die Apfelschorle serviert hatte. Sie bestätigte, dass Wendel das Getränk sofort bezahlt hatte. Die Auswertung der Kassenbelege hatte ergeben, dass dies um 17.46 Uhr gewesen war. Mehr konnte die Frau nicht aussagen. Die Polizei hatte noch drei Gäste des Cafés ausfindig machen können, die zum fraglichen Zeitpunkt auf der Außenterrasse gesessen hatten. Sie bestätigten vor Gericht, dass Michelle Crouchford auf dem Spazierweg in der Nähe des Cafés beim Joggen gestolpert und dann gefallen sei. Einer der Gäste sei herbeigelaufen und habe ihr ein Taschentuch gereicht, mit dem sie ihre Schürfwunden betupft habe. Dann habe der Zeuge der Gestürzten wieder auf die Beine geholfen. Sie habe ihre beim Sturz verdrehte Bauchtasche wieder nach vorn geschoben und sich für einige Minuten auf eine in der Nähe gelegene Bank gesetzt. Danach sei sie langsam weiter gegangen. Ob und wann ihr Wendel gefolgt sei, wussten die Zeugen nicht zu sagen. Das Gericht hatte auch Zeugen gehört, die zu Maxim Wendels Vorleben etwas bekunden konnten. Besondere Aufmerksamkeit hatte das Gericht dem Schulleiter des Nordstadt-Gymnasiums und einer damaligen Oberstufenschülerin gewidmet, die Wendel bezichtigt hatte, sich ihr sexuell genähert zu haben. Das Gericht hatte auch Wendels Ehefrau Sarah als Zeugin geladen, nachdem sich Trost auf sie berufen hatte, doch sie hatte von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und nicht zur Sache ausgesagt.
Stephan sah, dass das Schwurgericht auch die Akte des Verwaltungsgerichts beigezogen hatte, die den von Stephan erfolgreich geführten Prozess gegen das Land Nordrhein-Westfalen enthielt, in der es um die Anfechtung des Wendel erteilten Verweises ging.
Trost hatte damals jeden Tag der Hauptverhandlung gut vorbereitet, im Vorfeld der jeweiligen Zeugenvernehmungen bereits die Fragen vorformuliert, die er den Zeugen stellen würde. Stephan entnahm den für die Zeugin Michelle Crouchford bestimmten Fragen, dass Trost ihr eingehend, geschickt und unter teilweiser Wiederholung oder Abwandlung zuvor gestellter Fragen auf den Zahn gefühlt hatte, ob sie Maxim Wendel durch ihre äußere Erscheinung
Weitere Kostenlose Bücher