Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Realität.
»Wenn die Staffelei so stand, wie in der Tatortskizze vermerkt«, überlegte er, »und wenn Gossmann folglich von dieser Position aus das Torhaus und den Teich gemalt hat, dann ragt immer die Eibe in das Motiv. Auf seinem Gemälde ist die Eibe aber nicht zu sehen.«
Trost blickte auf das Foto in der Akte und schaute auf das sich von dem angegebenen Staffeleistandort bietende Motiv. Er runzelte die Stirn, trat einige Schritte nach links und verglich wieder Foto und Panorama.
»Von hier aus passt es«, meinte er. »Von hier sieht es genauso aus wie auf Gossmanns Bild.«
Marie und Stephan traten zu ihm. Trost hatte recht. Er stand nun etwa zehn bis zwölf Meter neben der Stelle, die nach Tatortskizze den Standort der Staffelei markierte.
Marie lief den Hügel hinab und nahm die Position ein, von der aus die Eheleute Brandstätter die Rufe Gossmanns gehört hatten. Trost blieb da stehen, wo er war.
»Von hier aus hätte man Gossmann und seine Staffelei gesehen«, rief sie von unten und ging dann den Weg auf und ab, soweit sie zwischen den hochgewachsenen Sträuchern hindurch auf die Anhöhe blicken konnte, während Stephan und Trost ihr zusahen.
»Von überall hätte man Gossmann und die Staffelei sehen können, wenn er sich an eurem Standort befunden hätte. Dagegen hätte man von unten von keiner Position aus die Stelle sehen können, an der er gefunden wurde. Und die Staffelei auch nicht. Die Sträucher verdecken alles«, sagte sie, als sie wieder zu den anderen gestoßen war.
»Warum soll Gossmann seine Staffelei so positioniert haben, dass er sein Motiv nicht in der Weise sehen konnte, wie er es tatsächlich gemalt hat?«, fragte Stephan. Er schlug achselzuckend seine Unterlagen zu. »Nichts wäre naheliegender, als sie dort aufzustellen, wo er sein Motiv ungehindert im Blick hatte. Die Eibe stört gewaltig den Blick auf das Torhaus.«
»Vielleicht wollte er ungestört sein«, überlegte Trost. »Sie wissen doch, wie neugierig vorbeilaufende Spaziergänger und ihre Kinder sein können. Möglicherweise hat er hier aus seinem Versteck heraus gemalt. Man sieht ja das Motiv, nur die Eibe stört. Als Künstler konnte er so etwas mit Sicherheit ausblenden.«
»War er wirklich ein Künstler?«, fragte Marie.
»Ein künstlerisch sehr begabter pensionierter Finanzbeamter«, erwiderte Trost lächelnd. »Es gibt nicht viele Informationen über ihn, außer der wesentlichen, dass Wendel zufällig früher in seiner Nachbarschaft wohnte und sie sich wechselseitig vom Sehen und auch vom Namen her kannten. Rudolf Gossmann frönte bereits zu Dienstzeiten der Malerei und widmete sich nach seiner Pensionierung ganz diesem Hobby. Die lag zum Tatzeitpunkt etwa fünf Jahre zurück. Gossmann war bereits damals seit Jahren verwitwet. Das ist alles, was ich über ihn weiß«, sagte Trost.
»So ein Bild wie Gossmanns letztes Gemälde vom Torhaus malt man doch nicht an einem Tag«, vermutete Marie. »Er muss über mehrere Tage hier gesessen und gemalt haben. Ist das überprüft worden? Hat man Zeugen gefunden, die ihn vielleicht mit seiner Staffelei an der Stelle gesehen haben, die einen freien Blick auf sein Motiv gewährt?«
»Man ist dieser Frage nicht nachgegangen, weil man diesen Umstand nicht weiter problematisiert hat«, bekannte Trost. »Denn es hätte sich daraus keine andere Beurteilung des Sachverhaltes abgeleitet. Was hätte die Erkenntnis gebracht, dass Gossmann an den Tagen zuvor vielleicht wirklich an einer geringfügig anderen Position gesessen hätte? Denken Sie an die Flasche, die unzweifelhaft die Tatwaffe war und von Wendel in den Händen gehalten wurde.«
»Es ergeben sich erste Fragen, immerhin«, meinte Stephan.
»Sie lassen nicht locker. Das freut mich, und das bewundere ich«, meinte Trost anerkennend.
»Er ist ein bisschen wie Sie«, lächelte Marie, ohne dass Trost merkte, dass sie mit diesen Worten etwas über den Starverteidiger spöttelte, den ihr Stephan schon facettenreich beschrieben hatte.
»Sie nehmen jetzt wieder Ihr Kind in Empfang?«, erkundigte sich Trost zum Abschied.
»Erst wird eingekauft«, entschied Marie. »Jede freie Minute muss genutzt werden. Mit einem Kind kommt es auf das perfekte Zeitmanagement an.«
»Sie kennen das ja, Kollege Trost«, fiel Stephan ein. »Auch wenn die Kindertage Ihrer Tochter jetzt schon viele Jahre zurückliegen.«
»Nein, wir hatten es leicht«, widersprach Trost. »Ich habe damals schnell meine Kanzlei nach vorn gebracht. Dann war
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