Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
provozieren und ihn hinter das Gebüsch locken wollte, wo es zu der versuchten Vergewaltigung gekommen sein soll. Auch hierzu hatte sich Trost im Vorfeld der Vernehmung der Zeugin eingehende und durchaus intime Fragen vorgemerkt, die erkennen ließen, dass Stephans Vorgänger in der Tat den Fall von allen Seiten betrachtet und geprüft und somit nichts unterlassen hatte, einen für Wendel günstigeren Prozessausgang zu erzielen.
In der Akte befanden sich Kopien eines vom Gericht eingeholten Gutachtens über die Schuldfähigkeit Wendels und zweier Analysen der Fingerabdrücke des Täters auf dem Tatwerkzeug sowie eine Reihe von Fotos, die im Wesentlichen die Asservate zeigten, die in dem Fall eine Rolle spielten. Das waren insbesondere die Tatwaffe, also die an ihrem Boden abgeschlagene Flasche, die Uhr des Opfers Michelle Crouchford, deren Ziffernblatt unter dem zerstörten Uhrglas die Zeit 18.05 Uhr festhielt und ein Bild, dass das letzte von Gossmann gemalte und fast fertig gestellte Bild zeigte und sich auf der Staffelei befand, die in unmittelbarer Nähe des Fundorts seiner Leiche stand. Weitere Fotos dokumentierten einen Ortstermin des Gerichts, auf dem unter anderem Stephan die Richter, den in Handschellen anwesenden Maxim Wendel, Oberstaatsanwalt Kreimeyer und einige andere Personen, mutmaßlich Kriminalbeamte, erkannte, die das Gericht im Prozess ebenfalls als Zeugen befragt hatte.
Das Urteil des Landgerichts Dortmund las sich wie ein Schulbeispiel richterlicher Würdigung des damaligen Falles. Auf knapp 65 Seiten hatte das Schwurgericht den Sachverhalt umfassend tatsächlich und rechtlich beleuchtet, lange Ausführung zur Glaubwürdigkeit der Zeugen und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen gemacht und spiegelbildlich Maxim Wendels Einlassung als bloße Schutzbehauptung gewertet. Die belastende Vorgeschichte Wendels erklärte, warum er sich an der Studentin vergehen wollte. Das Gericht erkannte in Maxim Wendel einen Menschen, der anderen keinen Respekt zolle und rücksichtslos alles in Besitz nehme, was er haben wolle. Für eine krankhafte Störung sah das Gericht keine Anhaltspunkte. Im Urteil stand, dass Wendel lediglich einen besonders ausgeprägten Egoismus offenbare, was ein eingeholtes Sachverständigengutachten bestätigt und vom Gericht anfänglich in den Raum gestellte Zweifel an der Schuldfähigkeit Wendels beseitigt hatte.
Stephan und Marie erschienen kurz nach 16 Uhr am vereinbarten Treffpunkt, was Trost erst zu einem ungeduldigen Blick auf seine Armbanduhr und dann zu der knappen Bemerkung veranlasste, dass Pünktlichkeit eine unverzichtbare Voraussetzung seines beruflichen Erfolges sei. Marie entschuldigte sich, noch bevor sie sich Trost vorgestellt hatte, mit der Verspätung der Tagesmutter, die sie habe eigens habe herbestellen müssen, was Trost augenblicklich mit einem nachsichtigen Lächeln beantwortete.
»Ich sagte ja: Mit Kindern ist es in dieser Gesellschaft nicht einfach«, betonte er.
Stephan hatte aus dem umfassenden Aktenmaterial nur die Fotos von den Asservaten, die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft und das Urteil des Landgerichts Dortmund zu dem Termin mit Trost mitgenommen.
Sie kletterten zu dritt die Anhöhe hinauf und blieben an der Stelle stehen, die Trost als diejenige bezeichnete, an der Rudolf Gossmann seinerzeit erschlagen aufgefunden worden war.
»Genau hier?«, fragte Stephan.
»Ziemlich genau hier«, nickte Trost, »aber legen Sie mich bitte nicht auf den Meter fest. Sie können die genauen Maße der Tatortskizze entnehmen. Ich erinnere mich daran, dass diese Eibe hier in unmittelbarer Nähe stand. Sie ist in den knapp vier Jahren natürlich größer geworden. – Sehen Sie doch einmal auf die Skizze, Herr Knobel!«
»Es liegen hier weit und breit keine Steine rum«, bemerkte Stephan, während er blätterte.
»Gut beobachtet!«, lobte Trost. »Aber das ist erklärlich. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, dass unten – in Nähe des Torhauses – das alte Hotel Rombergpark stand. Unmittelbar daneben befand sich die Hotelfachschule. Man hat diese schäbigen Gebäude vor Jahren abgerissen. Irgendjemand hat aus dem Bauschutt, der dort einige Zeit lag, Steine entnommen und sie hier auf die Anhöhe gebracht, um mit dem Abbruchmaterial eine illegale Feuerstelle zu errichten, die wohl als Grillplatz benutzt wurde. Wegen der recht versteckten Lage ist dies lange nicht entdeckt worden. Zum Tatzeitpunkt befanden sich etliche aus dem Abbruch stammende Gesteins-
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