Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
nachvollziehen, wer kontinuierlich kommt und wer nicht.«
Stephan warf einen Blick auf die Liste. Hinter den Namen waren auch die Berufe der Mitglieder vermerkt. Alle waren in herausgehobenen Positionen eigenverantwortlich tätig. Angestellte gab es nicht. Soweit sie in der freien Wirtschaft tätig waren, fand sich ein Hinweis auf das jeweilige Unternehmen, das sich im Eigentum des betreffenden Mitglieds befand. Traunhof beobachtete, wie Stephan die Liste studierte und Namen und Person in Verbindung zu bringen suchte. Stephan sah auf, blickte auf den Tisch, betrachtete kurz die Blumenbouquets und wollte eine Frage stellen, aber Traunhof erlöste ihn und begann ein Gespräch mit ihm.
»Gereon hat mir schon viel von Ihnen erzählt. – Nein, eigentlich hat er alles erzählt«, korrigierte er schmunzelnd. »Es ist ein schöner Zufall, dass Sie sich über den Fall Wendel begegnet sind. Sie sollen ein Fuchs sein, meint Gereon. Und ich weiß, dass seine Einschätzung meistens richtig ist. Jetzt bin ich neugierig auf Sie, Herr Knobel. Erzählen Sie mir alles über sich, was ich noch nicht weiß.«
»Wahrscheinlich wissen Sie wirklich schon alles«, parierte Stephan. »Ich bin Vater einer kleinen Tochter und lebe mit meiner Freundin, einer Lehrerin, im Stadtbezirk Asseln.«
»Weiß ich schon«, nickte Traunhof.
»Meine Marie unterstützt mich bei der Lösung meiner Fälle. Sie ist quasi im Nebenberuf Detektivin.«
»Weiß ich auch schon!«
»Heute war Marie mit ihrer Schulklasse bei dem Richter, der damals Vorsitzender der Schwurgerichtskammer war, die Wendel zu lebenslänglicher Haft verurteilt hat.«
»Warum das?«, fragte Traunhof überrascht.
»Sie wollte wissen, ob der Richter nicht doch Zweifel an der Schuld Wendels hatte.«
»Und?«, fragte Traunhof und kostete die gereichte Suppe. »Hat er Zweifel?«
»Marie ist der Meinung, dass er seine Zweifel nicht zulässt. Der Fall ist nämlich zu glatt und Wendels beharrliches Leugnen angesichts dessen nicht erklärlich. Es sei denn, dass Wendel verrückt ist. Das ist die einzige Erklärung für den Richter. – Wenn Wendel aber nicht verrückt ist …«
»Herr Knobel, Sie glauben doch nicht etwa an Wendels Unschuld?« Traunhof verdrehte vergnügt die Augen. »Wir alle kennen hier den Wendel-Fall. Gereon hat uns alles erzählt.« Er wischte mit dem Handrücken über den Mund. »Schweigepflicht, ich weiß. Aber so etwas ist theoretisch. Außerdem stand ja fast alles in der Zeitung. – Wollen Sie denn nur mit dieser Hypothese das Verfahren führen, Herr Knobel?«
»Manchmal sucht man zunächst nur eine Motivation«, gestand Stephan. »Und ich empfinde immer mehr so, wie ich es bereits zu Anfang spontan getan habe: Ich glaube Wendel.«
»Der Glaube ist keine greifbare Kategorie«, befand Traunhof verwundert. »Ich wiederum glaube nicht, dass Sie mit dem bloßen Glauben Ihre Fälle lösen können. Jetzt steht Glauben gegen Glauben. – Was machen Sie jetzt?«
»Die Staffelei des Rentners stand am falschen Ort«, erwiderte Stephan, ohne Traunhofs Wortspiel zu bedienen. »Vielleicht ein erster Ansatzpunkt, der den so glatten Fall erschüttert. Dreh- und Angelpunkt scheint diese Michelle Crouchford zu sein.«
»Prima facie ein echtes Luder«, meinte Traunhof amüsiert.
»Wie bitte?«
»Prima facie, also nach dem ersten Augenschein. Sie sind doch Lateiner, Herr Knobel? – Solche Begriffe kennt man doch! – Aber keine Sorge«, setzte er nach und klopfte Stephan leutselig auf die Schulter, »das Latinum ist keine Aufnahmevoraussetzung der ›Zehn‹.«
12
Stephan war kurz vor Mitternacht heimgekehrt. Er hatte sich zuletzt dem beständigen Nachschenken des teuren Weines höflich verweigert, weil er nicht betrunken aus der Rolle und unangenehm auffallen wollte. Traunhof von links und Trost von rechts hatten es schließlich aufgegeben, Stephan dazu zu bewegen, sich wie sie auch noch dem Genuss der leckeren Brände hinzugeben, die nach dem Essen gereicht wurden. Als sich Stephan verabschiedete und ein Taxi rufen ließ, war für die anderen längst noch nicht Schluss, und Stephan hatte sich gewundert, dass die Gesellschaft trotz fortgeschrittener Stunde und bemerkenswertem Alkoholgenuss noch immer lebhaft über die deutsche Gesellschaft und ihre unglücklichen Auswirkungen diskutierte. Als sich Stephan der Tür zugewandt hatte, war Trost noch einmal auf ihn zugekommen und hatte ihm freundschaftlich den Arm um die Schulter gelegt.
»Sie haben sich heute prima
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