Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
recht«, bestätigte Froog, und seine Worte klangen wie diejenigen eines Vaters, der zufrieden die vom Kind gelernte Lektion abnimmt. »Er hat geleugnet. Aber es hat ihm nichts genutzt.«
»Bei meiner Vorbereitung auf den heutigen Tag habe ich mich immer wieder gefragt, warum ein Mensch hartnäckig eine Tat leugnet, derer er doch eigentlich überführt ist«, sagte Marie. »Irgendwann müsste so einer doch kapitulieren oder die Flucht nach vorn antreten.«
»Flucht nach vorn? Wie meinen Sie das?«, fragte Froog irritiert und blinzelte durch seine Brille.
»Wenn bewiesen war, dass er die Flasche in Händen hielt, mit der er den Rentner tötete, hätte er doch umschwenken und das Gericht zu überzeugen versuchen müssen, dass er den Tod des Rentners nicht gewollt habe.«
»So wäre in der Tat das normale Einlassungsverhalten«, nickte Froog und wippte auf den Zehenspitzen.
»Wie erklären Sie sich das?«, fragte Marie. »Auf der einen Seite eine glasklare Beweisführung, und auf der anderen Seite ein hartnäckiges Leugnen des Täters.«
»Sie stellen Fragen, Frau Schwarz«, wunderte sich Froog und lächelte erstmals. »Da müssen Sie seinen Verteidiger fragen. Maxim Wendel war damals erstklassig vertreten. Dr. Gereon Trost ist eine Institution in der Riege der Strafverteidiger. Jura am Hochreck, wie ich zu sagen pflege. – Vielleicht hatte Wendel einfach eine innere Blockade. Es gibt Menschen, die negieren Tatsachen, die für sie belastend sind. Das wäre die einfachste Erklärung. In der Tat habe ich mich über Wendels Verhalten gewundert. Ich hätte ihn fast angeschrien, endlich das zu gestehen, dessen er doch ohne Zweifel überführt war. Wenn einer in so einer Situation weiterhin leugnet, muss er schlicht verrückt sein. Doch statt meiner war er es, der schrie. So verkehrt war die Welt in diesem Prozess. Er brüllte, dass er es nicht gewesen sei, weil er diese Flasche nicht berührt habe. Das ist genauso abwegig, als wenn einhundert Personen ein Bild betrachten und einhellig sagen, dass es schwarz ist, während einer ständig schreit, dass es doch weiß sei. Man muss darüber nicht vertieft nachdenken. Für uns Richter war klar, dass Wendel die Wahrheit nicht akzeptieren konnte oder wollte. Die eingeholten Gutachten waren eindeutig. Er hatte diese Flasche angefasst. Wir hatten an dieser Stelle verstanden, dass Wendel sich seine Version der Dinge komplett ausgedacht haben muss. Denn wenn man ihn an dieser zentralen Stelle der Lüge überführen konnte, dann sagte das auch alles über den Wahrheitsgehalt seiner sonstigen Einlassung aus.«
»Herr Wendel strebt eine Wiederaufnahme des Prozesses an«, sagte Marie.
»Tatsächlich?«, Froog strich sich verwundert über sein Kinn und dachte einen Moment lang nach..
»Chancenlos!«, urteilte er dann. »Das Urteil war richtig. Ich wüsste nicht, welche neuen Fakten auf den Tisch kommen sollten, die die damalige Entscheidung infrage stellen könnten.«
»Könnte es nicht sein, dass er wirklich unschuldig ist? Vielleicht ist das die einfachste Erklärung?«, bohrte Marie weiter.
»Er kann nur ein Wirrkopf sein«, war sich Froog sicher. »Wer Beweise negiert, muss krank sein.«
Marie blickte auf ihren Kurs.
»Sie haben einige Fragen vorbereitet«, sagte sie. »Wer möchte die erste an Herrn Froog stellen?«
»Wie wird man Richter?«, fragte ein Schüler aus der zweiten Reihe.
»Das ist ein langer Weg, und nur die Besten kommen ans Ziel«, setzte Froog an und begann, noch immer in Robe gehüllt, vor den Schülern auf und ab zu schreiten.
Marie schweifte in Gedanken ab. Froog hatte ihr mehr gesagt, als ihm bewusst war.
11
Die Zusammenkunft der ›Zehn‹ fand mal bei dem einen und mal bei dem anderen Mitglied statt, doch stets nur bei denen, die über ausreichend Platz verfügten, um diese Gruppe an einem großen Tisch versammeln zu können. Stephan war mit innerer Anspannung zu der von Trost angegebenen Adresse im Dortmunder Süden gefahren. Das Haus des Allgemeinmediziners Wolfgang Traunhof lag in einer ruhigen Seitenstraße. Das Grundstück fiel gartenseitig ab und endete an einem kleinen Bach, dessen Plätschern bis zum Souterrain zu hören war, wo Trost in seiner Eigenschaft als alternierender Vorsitzender der ›Zehn‹ die Erschienenen mit galanter Plauderei empfing. Die große Fensterwand zum Garten war zur Seite geschoben worden. Der Duft des frisch gewässerten Kräutergartens erfüllte sanft den Raum. Man setzte sich an einen großen ovalen Esstisch
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