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Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Titel: Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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Minuten geben«, taxierte Marie. »Es gibt keine Angaben darüber, wie lange sie tatsächlich dort gesessen hat. Im Prozess hat sie ausgesagt, dass sie sich nicht mehr genau erinnere. Also, ich denke, dass etwa fünf Minuten passen. Das ist alles ohnehin nur sehr vage.«
    »Eigenartigerweise ja«, bestätigte Stephan.
    »Also etwa 17.56 Uhr«, stellte er fest. »Eher später, denn wenn sich Michelle, wie eindeutig belegt ist, die Knie aufgeschlagen hat, wird sie im Zweifel sogar noch länger dort gesessen haben.«
    »Bleiben neun Minuten bis zur versuchten Vergewaltigung«, sagte Marie, während sie die schreiende Elisa aus dem Wagen und auf den Arm nahm. Stephan erhob sich, rückte die Stühle zurecht, legte die Akte unten in den Kinderwagen, schob ihn von der Außenterrasse auf den Spazierweg und nahm Marie das Kind ab. An der Bank nahmen sie die Zeit und gingen zügig, aber nicht hastig, Richtung Parkausgang. Sie erreichten die Stelle, an der Wendel die Studentin belästigt haben sollte, exakt nach zehn Minuten.
    »Wir waren nicht nur eine Minute langsamer«, meinte Stephan, »es müsste darüber hinaus noch Zeit für den behaupteten Vergewaltigungsversuch einkalkuliert werden. Mindestens zwei bis drei Minuten, eher mehr.«
    »Also reduziert sich die Zeit, die Wendel und Michelle Crouchford für den Weg vom Café bis hierher aufgewandt haben, von neun Minuten auf sieben oder gar sechs Minuten. Wenn man so geht, wie wir es getan haben, ist das nicht zu schaffen.«
    »Damit ist klar, dass die beiden wohl nicht, wie Michelle Crouchford behauptet hat, lediglich nebeneinander hergegangen sind«, folgerte Stephan. Alles spricht dafür, dass sie gelaufen oder zumindest hastig gegangen sind. Es fragt sich dann allerdings, wie Frau Crouchford das mit ihrer Verletzung schaffen konnte.«
    »Ich wundere mich, dass das niemand nachgeprüft hat«, meinte Marie. »Es sind doch einfache Feststellungen.«
    »Vielleicht fragst du mal den Herrn Froog«, schlug Stephan vor. »Frag’ Froog – das hat doch was!«

    Sie fuhren mit der U-Bahn nach Hause. Marie notierte, dass die Haltestelle Rombergpark nicht barrierefrei zu erreichen war. Sie würde dies gegenüber den Verkehrsbetrieben schriftlich rügen. Alle Wege mit dem Kinderwagen zurücklegen zu müssen, veränderte die Sichtweise und ließ erahnen, was Behinderte dauerhaft ertragen mussten. Plötzlich wurde sichtbar, wo die Gedankenlosigkeit der Planer Menschen in der Gesellschaft zurückließ, die sich nicht flink bewegen konnten. Stephan glaubte, ein Thema für seinen Vortrag vor den ›Zehn‹ gefunden zu haben.

    Zu Hause vertiefte sich Stephan nochmals in die Akte. Michelle Crouchford war die Hauptbelastungszeugin gewesen. Im Urteil nahmen die Ausführungen zur Glaubwürdigkeit der Zeugin Crouchford und zur Glaubhaftigkeit ihrer Aussage breiten Raum ein. Es mochte sein, dass August Froog zu den Richtern gehörte, die allzu selbstsicher von der Richtigkeit dessen überzeugt waren, was sie im Namen des Volkes verkündeten. Dessen ungeachtet schien Froog ein Richter zu sein, der sich an die Grundsätze der Beweiswürdigung hielt, belastende und entlastende Momente gegeneinander abwog und nur das für bewiesen hielt, was aus der Sicht eines Dritten als so geschehen feststand und deshalb letzte Zweifel schweigen mussten, ohne sie gänzlich auszuschließen.
    Stephan studierte anschließend nochmals Trosts Fragenkatalog, den er im Vorfeld der jeweiligen Zeugenvernehmungen angefertigt hatte und auch den Zeitungsartikel, der damals über den Auftritt der Zeugin Michelle Crouchford vor Gericht berichtete. Er las und prüfte. Dann stutzte er.

    Gleich am nächsten Morgen rief Stephan den Kollegen Trost aus seiner Kanzlei heraus an.
    »Sie wollen mir unbedingt Ihr Vortragsthema nennen«, scherzte Trost, der über Stephans frühen Anruf überrascht schien.
    »Barrierefreiheit in der deutschen Wirklichkeit – Anspruch und Wirklichkeit im Lichte der Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde«, antwortete Stephan spontan.
    »Deutschland hat doch keine Barrieren«, antwortete Trost nachsichtig. »Manchen fehlt nur schlicht das Potenzial, mit der Freiheit und den Möglichkeiten umzugehen.«
    »Es geht eher um Behinderung«, erklärte Stephan.
    »Behinderung?«, wiederholte Trost verwundert. »Ist das denn ein zentrales Thema? – Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte nur, dass Sie ein Thema wählen, das unsere Freunde vom Hocker reißt. Ein echter Kracher. Denken Sie noch mal

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