Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
nehme ich auch solche Typen unter meine Fittiche. Aber nur die dummen Mitläufer.«
»Fittiche«, wiederholte Stephan staunend.
»Wir haben uns darüber doch schon einmal unterhalten«, erinnerte Trost geduldig. »Es geht um die Prozessobjekte. Mich interessiert so ein Neonazi doch nicht wirklich. Das sind simpel gestrickte Menschen, die gedankenlos das rausgrölen, was man ihnen geimpft hat oder was sie in einem Anflug vermeintlicher Schläue als eigene Meinung kreiert zu haben glauben. Interessant ist doch nur, wie der Rechtsstaat mit diesen Typen umgeht. Unser System muss mit diesen Gestalten fertig werden, und mich reizt an diesen Fällen die häufige Voreingenommenheit der Gerichte und Staatsanwälte. Ich bilde das rechtsstaatliche Gegengewicht, wenn die Staatsgewalt die rechte Szene abarbeitet.«
»Aber das tut sie doch richtigerweise«, stellte Stephan fest.
»Sie verstehen mich nicht«, widersprach Trost. »Ich sympathisiere nicht mit diesem Abschaum. Aber ein jeder hat ein Recht auf Verteidigung. Hier geht es nur um diesen Grundsatz. Ich lebe ihn. Und ich weiß, dass Richter und Staatsanwälte von vornherein regelmäßig andere Maßstäbe bei diesen Angeklagten anlegen als beispielsweise bei einem notorischen Dieb. Jedem normalen und frei denkenden Menschen schwillt der Hals, wenn er diese vermeintlichen Kameraden sieht. Aber vor Gericht muss ein Gleichgewicht der Kräfte herrschen. Vielleicht – und das meine ich ehrlich – kann ich meinen Beitrag dazu leisten, einige dieser Wirrköpfe wieder auf den richtigen Weg zu bringen, wenn ich ihnen vermittelt habe, was wahres Recht und wirkliche Gerechtigkeit sind.«
Stephan schwieg. Trosts Philosophie wirkte lebensfremd – oder sie passte besonders gut zu seinem Bewusstsein, dass nicht alle Menschen einander gleich seien und sich die einen über die anderen erheben dürften.
»Ich provoziere, und ich genieße das«, erklärte Trost weiter. »Werbung sind diese Fälle für mich wahrscheinlich nicht. Aber ich bin in der luxuriösen Lage, keine Werbung nötig zu haben. Und gerade deshalb fliegen mir aus jeder Ecke der Gesellschaft die Kunden zu. Verstehen Sie das?«
»Es geht Ihnen nur darum, Staatsanwaltschaft und Gericht vorzuführen. Sie brauchen Ihre Bühne. Deshalb verteidigen Sie auch Angeklagte, mit denen kein normaler Anwalt etwas zu tun haben will. Ist es so, Herr Dr. Trost?«
»Man muss überall etwas Öl ins Feuer gießen. Wo nichts brennt, ist kein Licht. Man muss polarisieren, um zu konturieren. Ein einfaches Prinzip, Herr Knobel. So funktioniert das Leben.«
»Sie machen es wirklich nur für Ihr Ego? Sie haben nichts mit der rechten Szene zu tun?«
»Ich – ein Nazi?« Trost lachte wieder. »Im Leben nicht. Ich denke im besten Sinne national. Aber das ist kein Nationalismus in dem Sinne, wie Sie ihn verstehen wollen«, unterschied er feinsinnig.
»Ich ahne, was die ›Zehn‹ dazu meinen«, antwortete Stephan sibyllinisch.
»Die, die einander gleich sind, müssen sich zusammenschließen. Es ist ein schon von der Natur vorexerziertes und immer wieder erfolgreiches Prinzip. Wer mit anderen gleichgeschaltet wird, wird auf die Ebene des schwächsten Gliedes dieser künstlichen Gemeinschaft heruntergezogen. Man sollte nicht darauf bauen, dass die Starken den Schwachen und die Schwachen den Starken helfen. Regelmäßig funktioniert das nicht. Aber wenn man es offen ausspricht, riskiert man einen Spießrutenlauf.«
Trost lehnte sich zurück und richtete den Blick in die Weite der vor dem Fenster vorbeifliegenden Landschaft. Der Zug glitt durch das Land. Sich im Horizont verlierende Felder wechselten in loser Folge mit kleinen Laubwäldchen. Dazwischen standen vereinzelte Gehöfte und große Anwesen. Hier irgendwo, bereits etliche Kilometer in südwestlicher Richtung entfernt, lag Werl mit seiner Justizvollzugsanstalt, in der Maxim Wendel einsaß.
»Ihr Unbehagen hat einen Namen«, vermutete Trost nach einer Weile und fixierte Stephan.
»Wie meinen Sie das?«
»Ihre Freundin Marie«, antwortete Trost ruhig und lächelte. »Ich spüre, dass Ihre Fragen von Ihrer Marie stammen. Hält sie mich für einen Nazi?«
Stephan antwortete nicht.
»Herr Knobel, jetzt enttäuschen Sie mich bitte nicht! Wir haben doch Großes miteinander vor. Ihre Marie wird schon erkennen, dass sie auf dem Holzweg ist. Geben Sie ihr einfach Zeit. Vielleicht ist sie auch nur neidisch auf unsere kleine Leipzigtour. Sie ist noch nicht lange Mutter. Durch das Kind ist
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