Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Glaubwürdigkeit sagen könnte, als dies aus bloßen Rückschlüssen der im Prozess vernommenen Zeugen möglich war. Marie hatte noch aufgetrumpft und Stephan vorgehalten, dass er sich bisher zu wenig mit Maxim Wendels Persönlichkeit befasst und seine Erkenntnisse im Wesentlichen nur von Gereon Trost bezogen habe. Ihre Gedanken mündeten schließlich darin, die Ergebnislosigkeit der Reise nach Leipzig zu prognostizieren: »Er will dich nur fangen, Stephan. Es geht um nichts anderes.«
Trost studierte den Wagenstandsanzeiger auf dem Bahnsteig, postierte sich mit Stephan im Bereich des erwarteten Haltes des Speisewagens und strebte nach Ankunft des Zuges energischen Schrittes in dessen Bistrobereich, wobei er einen älteren Reisenden unsanft zur Seite schob, den letzten freien Tisch eroberte und Stephan zu sich winkte. Die Einrichtung des Wagens ließ die wohnliche Atmosphäre der Speiseabteile der neueren ICE-Züge vermissen, und das längere Ausharren auf den Halbrundbänken um kleine runde Tische versprach kein entspanntes Sitzen. Doch für Gereon Trost schien sich just hier das ersehnte Reisegefühl zu verwirklichen. Großherzig lud er Stephan zum Frühstück ein, reichte ihm die Angebotskarte und ermahnte ihn freundschaftlich, nicht sparsam zu sein. Stephan folgte schließlich Trosts Bestellung und wählte das ›City-Frühstück‹, dazu noch einen Orangensaft und auf Trosts Einladung auch noch ein Glas Sekt. Trost lächelte vergnügt, als die Bedienung gekonnt Brotkorb, Teller, eine Platte mit Käse, Butterpäckchen, Marmeladenschälchen und eine Portion Honig, Kaffee, Sekt und Saft auf dem kleinen Tisch gruppierte.
»Ich wundere mich immer, wie man es schaffen kann, in dieser räumlichen Enge so etwas zu zaubern«, meinte er. Das Wort ›zaubern‹ empfand Stephan als übertrieben, doch Trost begeisterte sich weiter: »Auch wenn andere Restaurants ein größeres Angebot haben: Irgendwie schmeckt es hier ganz besonders, und das hat natürlich damit zu tun, dass man sich auf einer Fahrt befindet. In einer besonderen Atmosphäre schmeckt auch alles besonders. Denken Sie an Weinproben. Niemals schmeckt der Wein besser als in der urigen Atmosphäre des alten Gewölbes eines Weinkellers, voll mit alten Weinfässern, dazwischen ein paar rustikale Bänke und Tische und darauf frisches duftendes Brot und würziger Käse. Den Wein, den Sie dort kosten, werden Sie kaufen. Aber er schmeckt zu Hause niemals so wie in dem alten Keller. – Verstehen Sie, was ich meine?«
»Natürlich.«
Stephan biss in sein mit Frischkäse bestrichenes Croissant.
Trost sah flüchtig aus dem Fenster. Der Zug hatte mittlerweile Hamm verlassen.
»Ich reise so gern«, wiederholte Trost. »Es ist ein Privileg unseres Berufs, oft zu auswärtigen Terminen zu reisen. Es gibt Anwälte, die sich ärgern, wenn sie Hunderte von Kilometern zu einer Gerichtsverhandlung zurücklegen müssen. Ich hingegen freue mich darüber, verbinde den Termin mit einer gemütlichen Hin- und Rückreise und erkunde regelmäßig den Ort, an den es mich verschlagen hat. Und bezahlen tut es der Mandant.« Er lächelte vergnügt.
Dann hob Trost das Sektglas, spitzte genussvoll die Lippen und nahm einen kleinen Schluck.
»Nicht jeder Anwalt darf sich über solche Mandate freuen, die ihn durch die ganze Republik führen und dazu noch gut bezahlt werden«, setzte Stephan dagegen.
Trost hob die Augenbrauen und tat, als dächte er über Stephans Worte nach.
»Wissen Sie was?«, fragte er schließlich und verzog die Mundwinkel zu einem breiten Grinsen.
Stephan verneinte.
»Sie haben recht!«, rief Trost und nahm einen Schluck. »Nicht allen geht es gut – und es soll auch gar nicht allen gut gehen.« Jetzt lachte er laut.
Stephan rutschte unbehaglich auf der Sitzbank hin und her.
»Ich muss Sie etwas fragen«, setzte er an.
»Ja?«
»Verteidigen Sie Nazis?«
Stephan empfand die Frage als unbeholfen. Er wusste, dass es keinen geeigneten Zeitpunkt geben würde, diese Frage zu stellen, doch Stephan wollte endlich wissen, woran er war.
»Sie meinen den Loser, der lauthals Hetzparolen skandierte und mit zwölf so genannten Kameraden über die Rheinische Straße von der Innenstadt nach Dorstfeld gezogen ist?«, fragte Trost in einem Tonfall, als gelte es, sich zu vergewissern, einen banalen Sachverhalt richtig verstanden zu haben.
»Ist das der Fall, von dem in der Zeitung berichtet wurde?«, fragte Stephan.
»Ja«, bestätigte Trost ungerührt. »Hin und wieder
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