Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
die ihr häufig beachtliches Können unter Beweis stellten und stets von Publikum umringt waren. Auch auf dem Alten Markt spielte jetzt jemand Klavier, und die Melodie von ›Yesterday‹ erfüllte unaufdringlich den Platz und verwandelte ihn in einen heiteren Konzertsaal. Marie schob den Kinderwagen zu dem verabredeten Lokal, wo sie Frau Wendel erst spät an einem der vorderen Tische erblickte. Zwar hatte Frau Wendel den angekündigten grünen Stoffbeutel bei sich, doch er fiel zunächst nicht auf, weil Frau Wendel einen mit drei roten Luftballonen und einer riesigen goldenen Schleife geschmückten großen gelben Haushaltsabfalleimer bei sich trug, der das Bild dominierte.
Marie stellte sich vor, parkte den Kinderwagen seitlich und arretierte ihn. Frau Wendel war aufgestanden, schaute pflichtschuldig und unsicher in den Kinderwagen, während sie ausschweifend und zugleich hektisch erzählte, dass sie den Abfalleimer bei einem Preisausschreiben eines Haushaltsgeschäftes gewonnen habe, nachdem sie die Produktfragen zu allen dort angebotenen Entsorgungsbehältnissen zielsicher richtig beantwortet hatte.
Dann setzte sie sich wieder und fragte Marie, was sie trinken wolle. Sie lächelte Marie an und blätterte in der Karte hin und her, bevor sie sich dann schnell für einen Eiskaffee entschied.
»Der schmeckt hier, ich kann ihn empfehlen. Immer, wenn ich hier bin, nehme ich diesen Eiskaffee. – Eigentlich muss ich gar nicht in die Karte schauen.«
Sie legte die Karte auf den Tisch zurück.
Marie hatte ihre Tasche mit den Babyutensilien unter dem Wagen verstaut, folgte Frau Wendels Empfehlung und nahm ihr gegenüber Platz.
»Es ist schön, dass Sie sich zu diesem Treffen bereitgefunden haben«, eröffnete Marie.
Frau Wendel blickte sie angespannt an. »Ich weiß nicht recht, was Sie wollen«, gestand sie. »wobei sie den Blick wieder von Marie abwandte und über den Alten Markt schweifen ließ, sich dann umschaute und einen Kellner herbeirief. »Es ist jetzt alles schon ein paar Jahre her«, fand sie wieder zum Gespräch zurück. »Die Sache ist eigentlich doch längst vorbei. Maxim will also prozessieren?«
Marie war sich nicht sicher, ob sie mit dieser Sache wirklich Maxim Wendels damalige Tat oder nicht vielleicht doch ihre gescheiterte Ehe meinte. Wie konnte der nie um einen lockeren Spruch verlegene, häufig in seinen Bemerkungen anzügliche Maxim und die in ihrer äußeren Erscheinung unauffällige, von Marie schon jetzt als anstrengend empfundene Sarah zum Ehepaar Wendel werden? Marie betrachtete unauffällig die ihr gegenüber sitzende Frau, die nun dem Kellner mit hastigen Worten die Bestellung aufgab.
»Manchmal dauert es hier draußen etwas zu lang«, sagte sie, als die Bedienung verschwunden war. »Aber man sitzt hier so gut. Wenn das Wetter schön ist, schließe ich meine Shoppingtour immer hier ab.«
»Der Eiskaffee ist gewissermaßen der Punkt auf dem i«, vermutete Marie trocken.
»Genau!«, freute sich Frau Wendel und wechselte ohne Übergang das Thema. »Maxim will also eine Wiederaufnahme des Verfahrens?«
»Er hat meinen Freund, einen Kollegen des damaligen Verteidigers Ihres Mannes, damit beauftragt«, nickte Marie.
»Hat Maxim eine Chance?«, fragte Frau Wendel.
»Würden Sie sich freuen, wenn er eine hätte?«, fragte Marie zurück.
»Natürlich, ja«, antwortete sie nach kurzem Überlegen. »Wenn Maxim wirklich nicht der Täter war, muss er auch nicht im Gefängnis sitzen. Es soll ja Gerechtigkeit herrschen.« Sie griff in den Stoffbeutel, um ein Taschentuch herauszukramen.
Ihre Antwort war eigenartig nüchtern und distanziert. Es klang, als redete sie nicht von ihrem früheren Mann, sondern davon, was aus Sicht eines Dritten sinnvoll und richtig erschien.
»Soweit ich weiß, haben Sie sich damals von Maxim scheiden lassen, weil er als Mörder verurteilt wurde«, wagte sich Marie weiter vor. »Wenn er nun nicht der Täter war …«
»Das glauben Sie doch nicht im Ernst«, unterbrach Frau Wendel. »Wenn Sie den ganzen früheren Prozess kennen, wissen Sie, dass er es gewesen ist.«
»Aber dann würden Sie nicht mit mir hier sitzen«, antwortete Marie weich.
Der Eiskaffee wurde serviert. Unglücklich in diesem Moment, in dem Marie eine Chance witterte, unverhofft schnell Sarah Wendel auf den Zahn fühlen zu können.
»Es ist etwas zu viel Sahne oben drauf«, rügte Frau Wendel spitz, nachdem der Kellner sich wieder entfernt hatte. »Immer gibt es so viel Sahne drauf, finden Sie
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