Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Wendel. »Und die Erklärung ist ganz einfach: Jenseits dessen, wie wir beide äußerlich wirken, sind wir uns in vielerlei Hinsicht sehr nahe gewesen. Von Maxim weiß man doch nur, dass er zweifelhafte Sprüche machte und manchmal in einer Art und Weise handelte, die andere gern als sexuelles Tun interpretierten. Maxims großes Problem war seine Unsicherheit, anderen Menschen unbefangen gegenübertreten zu können. Weil er das nicht schaffte, machte er sich selbst zu einer tragischen Witzfigur. Maxim ist doch bei Weitem nicht der Draufgänger, als den er sich selbst gern gesehen hat. Jedenfalls glaubte ich, ihn so kennengelernt zu haben. Die – nennen wir sie – Therapie, die wir damals gemacht hatten, führte dazu, dass alle, die daran teilgenommen hatten, sich in einem ersten Schritt ihrer eigentlichen Probleme bewusst wurden. Das war der erste Schritt. So ist es Maxim und mir ergangen. Zur eigentlichen Therapie konnte es bei ihm nicht mehr kommen. Da war er schon verhaftet.«
Marie überlegte. Worte und Taten des Maxim Wendel sprachen jenseits ihrer möglichen psychischen Ursachen eine andere Sprache.
»Sie ahnen gar nicht, wie bieder Maxim wirklich war. Seine vermeintlichen amourösen Abenteuer waren nur Hirngespinste. Er erfand mehr, als wirklich war. Ihr Freund hat Maxim doch einmal selbst vertreten. Also kennen Sie doch bestimmt die Geschichte. Es war gar nichts dran! Maxim war so blöd, wegen seiner Störungen den Draufgänger zu spielen. Und tatsächlich waren seine Bemerkungen häufig schlüpfrig. Ich weiß, dass er sich auch in der Schule immer wieder falsch verhalten hat. Er selbst hat durch seine eigenen Worte ein Zerrbild von sich gezeichnet. Doch wenn Sie der Sache auf den Grund gehen, werden Sie feststellen, dass meinem Mann nicht eine einzige Tat nachgewiesen werden konnte. Es wundert mich nicht, dass Ihr Freund damals diese Disziplinarangelegenheit gewinnen konnte. Das Ergebnis entsprach der Wahrheit. Aber wenn ein Mensch wie Maxim öffentlich so redet, wie er es getan hat, dann darf er sich nicht wundern, wenn jede seiner Handlungen genauso gedeutet wird wie jede seiner anzüglichen Bemerkungen. Alles, was man als harm- oder bedeutungslos werten würde, wenn es ein Dritter täte, ist bei Maxim Wendel nun einmal als sexuelle Handlung ausgelegt worden. Er war stigmatisiert. Wenn er also in die Mädchentoilette ging, weil dort geraucht wurde, wurde es so gewertet, als wollte er Mädchen beim Toilettengang beobachten. Wenn er in seine Hosentasche griff, um ein Taschentuch herauszuziehen, konnte es nur ein Griff an seine Genitalien sein. Wenn er beim Schulausflug in der Jugendherberge den Spint eines Mädchens durchsuchte, weil er dort Alkohol oder Ähnliches vermutete, dann tat er es angeblich, um in der Unterwäsche dieses Mädchens zu wühlen. Sie wissen doch, wie Mädchen und Jungen in diesen Altersstufen sind.«
»Die Hilfestellung am Reck?«, fragte Marie, die sich an die Begebenheit erinnerte, die ihr Stephan nach einem Gespräch mit Trost berichtet hatte.
»Das Mädchen hatte einen Krampf erlitten. Maxim, der stets schnell überfordert war, vergaß in diesem Moment schlicht, wie er am besten das Mädchen hätte greifen sollen. Er hat einfach schnell etwas getan, um ihren Körper zu entlasten.«
Sie hielt einen Augenblick inne, doch Marie reagierte nicht.
»Im Kollegium des Nordstadt-Gymnasiums wurden die Gerüchte gern aufgegriffen. Jeder weiß, wie schnell sich Gerüchte potenzieren. Wenn sie sich einmal verbreitet haben, besteht kaum eine Chance, mit Erfolg dagegen anzureden. Für Maxims Kolleginnen und Kollegen waren die Gerüchte ein gefundenes Fressen. Lehrer sind doch häufig pubertärer als ihre Schüler. Wie viele Menschen gibt es, die sich an Skandalen weiden und plötzlich etwas beizutragen wissen, obwohl sie selbst nichts gesehen oder gehört haben?«
»Aber Sie wollen nicht so weit gehen, Maxims Verhalten zu entschuldigen?«, fragte Marie.
Sarah Wendel schüttelte den Kopf.
»Bestimmt nicht! Sein Verhalten hat mich gekränkt. Und Maxim hätte noch mehr an sich arbeiten müssen. – So, wie ich an mir arbeiten muss. Wir hätten uns irgendwann auf einer gesunden Mitte getroffen, und unsere Defizite wären kein Thema mehr gewesen. Die beabsichtigte Therapie wäre ein erster Schritt gewesen. Das hat er ebenso gesehen.«
Marie überlegte. Man konnte wahrlich nicht behaupten, dass Sarah verschlossen war. Sie war sich nicht sicher, ob sich Frau Wendel ihre Ehe mit Maxim nicht
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