Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
nicht?«
Sie schöpfte mit dem Löffel den Sahnekegel ab.
»An den teuren Sachen wird gespart, und vom Billigen gibt es reichlich«, setzte sie nach.
»Ja, es ist viel Sahne drauf«, bestätigte Marie folgsam und setzte neu an:»Hätten Sie sich denn nicht scheiden lassen, wenn es nicht zu der Tat und der späteren Verurteilung gekommen wäre? – Sie wissen, warum ich das frage: Ihr Mann hatte ein sehr zweifelhaftes Verhältnis zu Frauen. Sie kennen natürlich die ganzen Geschichten aus der Schule. Die Schulleitung hatte zuletzt dafür gesorgt, dass Ihr Mann nicht mehr den Sportunterricht leiten und Klassenfahrten begleiten durfte. Die Gelegenheiten, sich an Mädchen oder Frauen heranzumachen, sollten so gut wie möglich beschränkt werden. All das belastet eine Ehe. Ich vermute eher, dass dies eine Ehe zerstört – oder sehen Sie das anders?«
Frau Wendel rieb sich die Augen und rührte in ihrem Eiskaffee.
»Nein«, sagte sie. »All das war natürlich von Anfang an eine Last auf unserer Ehe. Aber Maxim hatte begonnen, sich zu ändern. Wir kannten uns keine lange Zeit. Er hatte sich schnell zu sich bekannt. Ich wusste, was er für ein Typ war. Maxim ist in Wirklichkeit verklemmt und unsicher. Er spielt den Draufgänger. Aber er ist eigentlich nur ein bisschen verrückt. Sie müssen diesen Begriff wörtlich nehmen, Frau Schwarz! Verrückt ist, wer ein bisschen neben der Spur ist. Maxim nimmt die Realität nicht richtig wahr. Oder er war nur zu naiv, um zu erkennen, wie sehr er sich an der Schule mit seinem Verhalten ins Abseits manövrierte. Eigentlich wollte er sich interessant machen, witzig sein, mit seinen Schlüpfrigkeiten die erwachende Neugier der pubertierenden Kinder bedienen. Sie brauchen mir nicht zu sagen, wie dumm das war. Maxim war auch nie ein guter Lehrer. Der Beruf ging ihm nicht leicht von der Hand. Er blieb immer ein Außenseiter. Jeder würde vermutlich ungläubig staunen, wenn er hörte, dass Maxim begonnen hatte, an sich zu arbeiten. Doch das ist einfach erklärt. Maxim war in jeder Hinsicht in eine Sackgasse geraten. Er war beruflich und privat gescheitert, hatte Feindschaften auf sich gezogen und war in seiner Einsamkeit vor eine Wand gelaufen. Er musste etwas tun, um ins Leben zurückzukehren. Maxim war ein lieber und fürsorglicher Mann, dessen wahres Gesicht den anderen verborgen blieb. Jedenfalls glaubte ich daran, dass seine negativen Seiten die Fassade und das Gute in ihm der wahre Kern waren. Also genau anders als bei den meisten anderen Männern: Da ist das Gute die Fassade, und im Inneren lauert die bittere Wahrheit. – So seltsam es klingt: Nachdem Maxim und ich zusammenkamen, waren seine albernen Eskapaden an der Schule vorbei. Er war auf einem guten Weg. Maxim hatte begonnen, ein normales Leben zu führen. Jedenfalls glaubte ich das. Er gewann Selbstbewusstsein. Ich bin Maxims erste Frau gewesen, Frau Schwarz.«
Marie schüttelte ungläubig den Kopf.
»Ich möchte nicht indiskret sein, Frau Wendel. Was fanden Sie an Maxim?«
»Ich bin genauso verquer durchs Leben gegangen wie er«, offenbarte sie ungeschminkt. »Genauso einsam, genauso komplexbehaftet, nur nicht so ungeschickt im Auftritt.« Sie lächelte verstohlen. »Er machte immer auf sich aufmerksam, ich tauchte eher ab. Ich bin stets scheu gewesen, und ich bin es noch. Das eine ist so ungesund wie das andere.«
»Wo haben Sie sich kennengelernt?«, fragte Marie.
»In einer Selbsthilfegruppe, die unter Anleitung eines versierten Psychologen die Komplexe und Störungen ihrer Mitglieder aufarbeitete. Es war die Vorstufe einer Therapie«, antwortete Frau Wendel. »Maxim hätte mit Sicherheit die Schatten seiner Vergangenheit überwunden. Er stand erst ganz am Anfang und wollte sich weiter behandeln lassen. Ich selbst habe auch Fortschritte gemacht. Die Therapie tut mir gut. Ich beginne, ganz anders auf das Leben zuzugehen. Ich werde offener.« Sie lächelte wieder. Jetzt war es ein einladendes offenes Lächeln. »Würden Sie mich für verschlossen, scheu oder verklemmt halten?«
Marie schwieg unsicher.
»Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Frau Schwarz! Ein Mensch, der sich öffnet, wird auch für den anderen fassbarer – und er ist eher in der Lage, sich hinzugeben. All das fehlte mir bisher«, meinte sie selbstkritisch.
»Ich begreife Ihre Ehe mit Maxim nicht«, gestand Marie. »Sie sind doch offensichtlich komplett unterschiedliche Menschen.«
»Ja, das sehen alle so, die uns kennen«, bestätigte Frau
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