Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Stephan betrachtete die kraftstrotzende Gestalt mit ihrem muskulösen Oberkörper, über den sich das Shirt spannte, den glatt rasierten Kopf und die fleischigen Lippen des etwa 30-jährigen Mannes, der die Arme vor der Brust verschränkt hielt und wortlos wartete.
»Hier soll früher einmal eine Michelle Crouchford gewohnt haben«, begann Trost etwas zaghaft.
»Nicht bekannt«, erwiderte der andere knapp.
»Es ist etwa acht bis zehn Jahre her«, ergänzte Trost. »Die Adresse ist ganz bestimmt richtig. Ich habe mich vergewissert.«
»Ich sagte doch: Diese Dame war und ist hier nicht bekannt«, wiederholte der andere, im Gesicht unbewegt wie zuvor, doch in der Stimme etwas freundlicher. »Sie müssen sich irren, aber eine Dame namens Michelle sagt uns nichts.«
»Was soll das heißen?«, fragte Trost. »Wer ist uns ? Können Sie nicht jemanden im Haus fragen?«
»Sie haben mich doch verstanden?«, sagte der andere, nun wieder in deutlich bestimmenderem Ton.
»Kann sie vielleicht einen anderen Namen getragen haben?«, fragte Stephan. »Gibt es noch andere Damen?«
Der Mann hinter dem Tor zuckte die Schultern.
Trost sah sich überrascht zu Stephan um, dann verstand er.
»Wir kommen auf Empfehlung«, wagte er sich vor.
»Ach ja?«, fragte der andere und wartete. Dann drückte er seine Brust durch.
»Kommen Sie wieder, wenn Sie Ihre Empfehlung benennen können, Herr …?«
»Dr. Gereon Trost«, parierte der andere, zückte seine Visitenkarte und reichte sie durch das Torgitter.
»Sie sind nicht gemeldet, Herr Trost. – Ich bedaure«, erwiderte der Mann, ohne die Visitenkarte zu nehmen. Er wandte sich um und ging ins Haus zurück. Trost hob ratlos die Schultern.
»Sie glauben, dass das ein Bordell ist, Herr Knobel?«
»Vielleicht«, meinte Stephan. »Sollte es so sein, ist es mit Sicherheit ein Edelbordell.«
»Eine merkwürdige fremde Welt!«
Trost betrachtete seltsam staunend die luxuriöse Villa in dem kleinen Park. »Wer betreibt so etwas, wie funktioniert das, wer sind die Kunden?«
»Die, die es angeht, wissen Bescheid«, war sich Stephan sicher.
»Die Nachbarn werden doch wissen, was hier los ist«, meinte Trost. Er blickte sich um. Die Häuser an dieser Straße standen zumeist – wie die Villa – etwas zurückversetzt. Ein direkter Zugang zu einem Haus ergab sich erst rund 200 Meter weiter. Trost eilte zur Haustür und kam kurze Zeit später kopfschüttelnd zu Stephan zurück.
»Alle kennen dieses Haus, aber niemand weiß, wem es gehört und was sich wirklich darin verbirgt. Immerhin scheinen tatsächlich einzelne Männer das Haus aufzusuchen, nachdem sie ihre meist luxuriösen und aus anderen Städten und Regionen kommenden Autos in den Nachbarstraßen abgestellt haben. Es wird ein Bordell sein. Ich bin mir sicher, dass Sie recht haben, Herr Knobel!«
»Man lebt hier nicht nur unter sich, sondern jeder auch für sich«, kommentierte Stephan. »Aber wir werden es herausfinden können. Zumindest wird Oberstaatsanwalt Kreimeyer, von dem Sie die Adresse haben, dies ermitteln können.«
»Ja«, antwortete Trost gedankenverloren. »Mittlerweile ist er allerdings pensioniert. Aber er hätte das doch schon damals von selbst ermitteln können. – Ermitteln müssen«, korrigierte er. »In diesem Haus wohnte niemals eine Michelle Crouchford, das ist sonnenklar!«
Stephan konnte Trost nur zustimmen.
15
Sarah Wendel war eine unscheinbare Frau. Sie hatte sich am Telefon beschrieben, als Marie mit ihr ein Treffen am frühen Samstagabend auf dem Alten Markt in der Innenstadt verabredet hatte.
»Ich denke, ich werde ein blaues Kleid tragen«, hatte Frau Wendel gesagt. »Dunkle Haare, Pagenkopf, schlank, mittelgroß«, hatte sie angefügt und dann unbeholfen gelacht. »Ich bin ein Dutzendtyp. Vielleicht nehme ich einen hellgrünen Stoffbeutel vom Bioladen mit. – Ja, ich werde es so machen. Das Wetter soll gut werden. Also werde ich draußen sitzen, wenn dort ein Platz frei ist. Sie erkennen mich an dem grünen Stoffbeutel.«
Als Marie kurz vor 18 Uhr mit dem Kinderwagen den Alten Markt erreichte, herrschte dort das an sonnigen Tagen übliche emsige Treiben, das dem von geschlossener Bebauung umrahmten Platz mit seinen Restaurants und Bars ein anziehendes Flair vermittelte. Nachdem man auf die Idee gekommen war, in der Innenstadt bei gutem Wetter einfache Klaviere an verschiedenen Stellen zu positionieren und für jedermann zum Spielen freizugeben, fanden sich zunehmend mehr Klavierbegeisterte,
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