Ratgeber & Regenten 01 - Die Bluthündin
auf dem verrottenden Holz, das trotz allem stabil genug aussah, um die Männer zu tragen.
»Bereitet das Salz vor«, befahl Andris leise.
Jeder der Männer holte rasch zwei Gegenstände aus dem Gepäck: eine Waffe, die an ein winziges Katapult erinnerte, das auf eine Armbrust montiert war, und eine kleine Flasche, in der sich fein gemahlene grüne Kristalle befanden. Sie zogen den Mechanismus nach hinten, bis er einrastete, und gaben Salz in eine kleine Vertiefung. Sobald die absonderlichen Waffen bereit waren, gingen die Männer weiter, den Finger am Abzug.
Der Baumstamm war breit genug, um sie paarweise passieren zu lassen. Andris legte sich Wolthers Arm über die Schulter und half ihm so beim Überqueren. Sie gingen schnell, und der Stamm trug sie. Der Jordain nickte Iago zu und hielt sechs Finger hoch, um ihnen zu verstehen zu geben, daß sie nicht alle auf einmal, sondern in kleinen Gruppen losgehen sollten. Alles verlief gut, bis sich die letzte Gruppe aufmachte.
Der Angriff kam völlig unerwartet, als mit einem Mal Heerscharen von Kreaturen aus dem stehenden Gewässer geschossen kamen. Abscheuliche Gestalten, so bleich wie gestrandeter Fisch und auf die dreifache Größe angewachsen, streckten geschwollene Hände nach ihnen aus. Ein unerträglicher Gestank ging in Wellen von den Kreaturen aus und zwang einige der Kämpfer, sich zu übergeben. Die anderen blieben stehen und zielten. Plötzlich war die Luft erfüllt von den schnappenden Geräuschen der Katapulte und dem Funkeln der seltsamen fliegenden Munition.
Die Salzkristalle fielen auf die ertrunkenen Geschöpfe herab. Fauliger Dampf stieg von den verquollenen Leibern auf, als sich die Kristalle durch das käsige Fleisch brannten und sich an den darunter gefangenen Gasen entzündeten.
»Runter!« rief Andris, warf sich auf den Boden und legte die Arme über den Kopf.
Die Explosion ließ die Erde beben und bespritzte die Krieger mit einer unsäglichen Masse. Der Stamm zitterte und bewegte sich, knarrte und drohte ins Wasser zu rutschen. Andris erhob sich und begann, die Männer, die flach auf dem Baumstamm lagen, mit Rufen und Handzeichen zu sich zu holen.
Plötzlich fuhren zwei gewaltige, skelettartige Unterarme auf den Baumstamm nieder. Die riesigen Knöchel spannten sich, und aus dem Wasser tauchte ein immenser Schädel auf. Behende wie ein hünenhaftes Eichhörnchen kletterte die untote Monstrosität auf den Stamm.
Andris hatte noch nie ein solches Wesen gesehen, weder tot noch lebendig. Ein Paar langer, spitzer Hörner wuchs aus dem mit Wülsten überzogenen Schädel, und das an einen Schnabel erinnernde Maul war voller Zähne, die an die eines titanenhaften Vampirs erinnerten. Reißzähne, die so lang und so glänzend wie Dolche waren, blitzten auf, als die Kreatur auf den letzten Mann auf der Brücke zuschoß.
Der drehte sich – alarmiert von den Schreien seiner Kameraden – genau in dem Moment um, da die riesigen Kiefer auf ihn herabfuhren. So schrecklich es auch war, mitansehen zu müssen, wie einer ihrer Kameraden im Maul eines Monsters verschwand, war der Anblick noch viel grausamer, als der zerstückelte Leib durch die skelettartige Gestalt auf den Stamm und ins Wasser darunter fiel.
Entsetzen erfaßte die Männer und ließ sie von Panik angetrieben durch das Laub den Hügel hinauf stürmen. Nach gut einer Stunde standen sie nach Atem ringend vor den zerfallenen, von Ranken überzogenen Toren der Stadt selbst.
Andris betrachtete fasziniert die Überreste dessen, was einmal eine wundervolle Stadt gewesen war – eine Stadt mit Gebäuden, die noch verspielter waren als die in den Städten Halruaas. Überbleibsel hochragender Türme wuchsen bis in die Bäume hinein, manche von ihnen waren gänzlich von Ranken überzogen. Nichts davon war aus Stein, vielmehr war alles gewachsen, nicht aber erbaut worden. Berge aus bunten Kristallen türmten sich überall wie die Schatzhügel eines Drachenhorts. Ein kleiner Wasserfall ergoß sich über eine der Ruinen, und das Wasser erzeugte bei einigen der kristallenen Scherben hohe, geisterhafte Töne.
Zu seinem großen Erstaunen erkannte Andris, daß die Ruinen den Elfen zuzurechnen waren. Die Geschichtsbücher hatten behauptet, die Stadt sei ein von Abtrünnigen und Banditen bewohnter Außenposten gewesen. Nie hatte er etwas von einer frühen Zivilisation der Elfen in diesem Teil Halruaas gehört.
Die Stadt lag unheimlich ruhig da, während sich die Gruppe auf den zerfallenen Straßen vorwärts
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