Ratgeber & Regenten 02 - Das Wehr
das Knochentor des Käfigs. Auf ein Fingerschnippen des Nekromanten entstand hinter dem Geschöpf ein winziger Wirbel, der es zurück in sein Gefängnis riß, dessen Tür sich hinter ihm unerbittlich schloß.
Der Nekromant verschwendete keinen weiteren Gedanken an das Wesen und legte den Korallenrahmen um einen der Gitterstäbe, wo er ihn mit Abwehrzaubern sicherte.
»Ein Geschenk für dich, kleine Kiva«, sagte er und sah zu einer anderen kleinen Öffnung, jenem unvollkommenen Tor, jenes Leck, aus dem Wasser und Magie nach Halruaa entwich. »Du sandtest mir den Laraken. Wenn du das Wasser der Quelle berührst, werde ich mit einem eigenen Boten reagieren. Angesichts der Mühe, die du dir meinetwegen machst, wäre es unhöflich, mich nicht zu revanchieren. Schließlich muß alles Hab und Gut im Auge behalten werden.«
Der Nekromant kicherte, während er sich vorstellte, wie überrascht Kiva wäre, wenn ihr aus dem Tor jene vierarmige Bestie entgegensprang. Es war nur ein erster Zug, eine bloße Finte in der Eröffnung der Schlacht. Doch die Aussicht auf einen würdigen Gegner hatte etwas Wunderbares.
Akhlaur gestattete es sich, in angenehme Racheträume abzugleiten. Seine Gedanken verweilten aber nicht bei der kleinen Elfe, sondern bei seinen ältesten Freunden – seinen meistgehaßten Gegnern.
* * *
Der Nath, die nordöstlichste Ecke von Halruaa, gehörte zu den wildesten und entlegensten Regionen im ganzen Land. Einige Handelswege führten dort hindurch, aber sie waren schmal und wurden wenig bereist. Öde, felsige Täler erstreckten sich zwischen Hügeln, die mit Höhlen durchsetzt und überwiegend dicht bewaldet waren. Monster und Banditen lauerten an diesen verborgenen Orten, doch viel gefährlicher waren die schmalen grauen Gestalten, die sich wie Schatten durch die qualmenden Überreste einer Handelskarawane bewegten.
Sie alle waren weibliche Crinti, ein von den Elfen abstammendes Volk mit grauer Haut und grauem Haar – und grauer Seele. Die Anführerin ging zu einem dunklen Pferd und saß auf, um mit beiläufigen Gesten der schmalen Hände die Aktivitäten der anderen zu dirigieren. Hin und wieder stieß sie Anweisungen in einer Sprache aus, die einst die der Dunkelelfen gewesen war. Shanair, eine Anführerin unter den Crinti-Plündererinnen, war auf ihre düstere Abstammung sehr stolz.
Die Halruaaner nannten ihre Art »Schattenamazone«. Dank der menschlichen Barbaren in ihrer Ahnentafel war sie für jemanden mit Elfenblut groß und kräftig gebaut. Ihre Gliedmaßen waren lang und schlank, ihr muskulöser Leib wies bemerkenswerte Kurven auf. Ein wilder Schopf eisenfarbenen Haars fiel ihr einem Gebirgsbach gleich über die Schultern und rahmte ein kantig geschnittenes Gesicht ein. Ihren Ohren verfügten nur über winzige Spitzen, aber Shanair betonte ihre Elfenherkunft durch silbernen Ohrschmuck, der in übertriebenen, mit Widerhaken versehenen Spitzen auslief. Ihre Stiefel, das Leder ihrer Kleidung, der Umhang – alles war grau. Bis auf ihre Augen, die von einem überraschend lebhaften Blauton waren. Den einzigen anderen Farbtupfer bildete eine gezackte rote Tätowierung um ihren Oberarm und die rote Farbe, die ihre Fingernägel wie blutige Krallen wirken ließ.
Aus der Ferne gellte ein Schrei durch das Gebirge. Shanair hob den Kopf, als sie hörte, wer dort schrie.
»Rekatra!«
Sie preßte die Fersen in die Flanken ihres Pferdes.
Zwei von Shanairs Helferinnen sprangen sofort auf ihre Reittiere und schlossen zu ihr auf, während sie zu der Kundschafterin eilten, die bereits durch ihre eigene Stimme dem Untergang geweiht war, da keine Crinti vor Angst oder Schmerz aufschrie.
Sie fanden Rekatra neben einem schmalen Bach. Sie hielt sich vier tiefe, klaffende Wunden, die ihr durch den Lederpanzer hindurch zugefügt worden waren. Die Crinti-Kundschafterin war bereits fast völlig ausgeblutet. Ihre Augen waren stumpf und leer, als sie sich Shanair zuwandte.
»Mutter«, sagte sie schwach. Ihre Stimme war voller Hoffnung und Bitten, wie das Flehen eines verletzten Kindes.
Shanair sprang vom Pferd und ging zu der gefallenen Kundschafterin. Sie zog in einer einzigen, fließenden Bewegung zwei Krummschwerter und ließ sie auf die Kehle der jungen Frau zufahren. Im nächsten Moment waren die Klingen blutig.
Die Crinti steckte die Schwerter wieder weg und beugte sich über die Leiche ihrer Kundschafterin und Tochter. Die beiden anderen Frauen stiegen auch ab und kamen näher. Die Tat ihrer Anführerin
Weitere Kostenlose Bücher