Ratgeber & Regenten 02 - Das Wehr
verlassen«, hob der Priester hervor.
Matteo konnte darauf nichts erwidern. »Ich muß zugeben, daß die Handlungen meines Freundes mir ein Rätsel sind. Ich wäre für jede Auskunft dankbar, die Licht in diese Angelegenheit bringen könnte.«
Der Priester zögerte. »Ihr müßt alles, was ich Euch sage, mit der gleichen Verschwiegenheit behandeln, zu der ein Jordain seinem Herrn gegenüber verpflichtet ist.«
Matteo nickte. »Das werde ich, solange ich nicht den Interessen meiner Herrin, der Königin, schade und solange der Wahrheit gedient wird.«
»Das muß reichen.« Der Priester seufzte. »Andris hat sich nicht an unserem Tor vorgestellt, aber er war hier. Meiner Meinung nach suchte er Kiva.«
Das war die seltsamste Neuigkeit, die Matteo je erfahren hatte. »Hat Andris Kiva gefunden?«
»Wenn Ihr die Antwort auf diese Frage gefunden habt, laßt es mich wissen. Mich, aber niemanden sonst.«
Als Matteo verstand, was der Mann meinte, sackte er in seinem Sessel zusammen, »Kiva ist entkommen? Wie das?«
Per Priester rutschte unbehaglich hin und her. »Ich könnte nur eine Erklärung denken, doch warum meinen Atem auf etwas verschwenden, das nichts an der Situation ändert?«
Matteo dachte schweigend über die »Situation« nach. Kiva war fort – und mit ihr das Geheimnis des Tores zur Ebene des Wassers. Nicht ganz so gravierend, aber für Matteo gleichermaßen drängend war die Frage, welche Rolle Andris bei alledem spielen mochte. Andris glaubte, sein Los hänge mit dem Elfenvolk zusammen, und Kiva war die einzige Elfe, die er kannte. Es schien unglaublich, daß Andris noch etwas mit dieser hinterhältigen Elfe zu tun haben wollte, aber absolut sicher konnte Matteo nicht sein.
Nach einigen Augenblicken faßte er seine Befürchtungen in Worte: »Glaubt Ihr, Andris könnte mit Kivas Flucht zu tun haben?«
Der Priester schüttelte den Kopf. »Kiva war fort, lange bevor der Jordain herkam. Nachdem sie wieder zu Bewußtsein gekommen war, wurde sie von einem unserer Inquisitoren befragt, wenn auch nur kurz. Sie nannte einen Komplizen, der hingerichtet wurde.«
»Zephyr«, murmelte Matteo und dachte an das freundliche, abgezehrte Gesicht des alten Elfen. Er war der einzige Jordain gewesen, der ihn während seines Dienstes bei Procopio willkommen geheißen hatte. »Welche Beweise lagen gegen ihn vor?«
»Es war ein gerechtes Urteil«, versicherte der Priester. »Kiva sprach die Wahrheit über ihn, wenn auch sonst wenig mehr. Der Inquisitor hielt sie für eine weitere Befragung für zu schwach, doch sie ergriff noch in der gleichen Stunde die Flucht. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber es ist geschehen.«
Diese Worte stellten für Matteo gute und schlechte Neuigkeiten zugleich dar. Andris hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, doch auf der anderen Seite war Kiva schon seit geraumer Zeit auf der Flucht. Zephyr war im Schein des zunwehmenden Mondes hingerichtet worden, wie es halruaanischer Brauch war. Seitdem war der Neumond gekommen und wieder gegangen, und eine Mondsichel stand wie ein träges Augenlid über dem Tempel.
Matteo kämpfte gegen seine Enttäuschung an. »Welche Anstrengungen wurden unternommen, um ihrer wieder habhaft zu werden?«
»Offiziell keine«, antwortete der Priester. »Ihr müßt wissen, daß Kiva in Richtung des bewaldeten Passes entkommen ist, der durch die Berge in den Dschungel von Mhair führt. Ein Abkommen mit den Elfen von Mhair verbietet es den Priestern von Azuth, diesen Paß zu betreten. Magier, Schwertkämpfer und Bürgerliche aus den Reihen von Azuths Anhängern sind von diesem Verbot ausgenommen, aber keiner von ihnen konnte die Fährte dieser Elfe aufnehmen.«
»Es wird auch niemandem gelingen. Eine Elfe im Wald zu verfolgen ist, als wollte einem Falken nachsehen, der an einem bedeckten Tag über den Wolken fliegt.«
»Ja. Ihr versteht, warum wir uns scheuten, an anderer Stelle um Hilfe zu bitten.«
Matteo verstand nur zu gut. Solange Kivas Verschwinden für Halruaa keinen Schaden brachte, würde die Azuthaner heimlich nach ihr suchen und darauf hoffen, daß sie sie fanden, bevor ihre Flucht allgemein bekannt war.
Er betrachtete nachdenklich den Priester. »Ihr hättet mir nicht ohne einen guten Grund von alldem erzählt.«
Der Priester hob die Augenbrauen, da Matteo so offen mit ihm sprach, bestritt aber nicht den Wahrheitsgehalt seiner Worte. »Ihr kennt Andris gut?«
Matteo wiederholte den Satz, den er schon oft gesagt hatte: »So gut, wie ein
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