Ratgeber & Regenten 02 - Das Wehr
Mann einen anderen kennen kann.«
Sein Gastgeber lächelte. »Soll das ein Ausdruck für Brüderlichkeit oder für Zynismus sein?«
»Beides.«
»Ein gutes Gleichgewicht. Sagt: Hat sich Andris Eurer Meinung nach daran gemacht, Kiva zu verfolgen? Aus Rache vielleicht?«
»Wenn das seine Absicht ist, dann hätte er allen Grund dazu.«
»Interessant«, murmelte der Priester und betrachtete Matteo aufmerksam. »Ihr konntet den Jordain bis zu uns verfolgen. Könnt Ihr ihm auch in den Wald folgen?«
»Mit etwas Unterstützung würde mir das leichter fallen. Es gibt zwei Männer im Kolleg, die exzellente Fährtensucher und gute Kämpfer sind. Könnt Ihr nach ihnen schicken lassen?«
Der Priester nickte. »Wenn Ihr glaubt, ihr Wissen stelle einen Ausgleich für die weitere Verzögerung dar, sicher. Ihr könnt den Männern vertrauen?«
Matteos Lächeln hatte etwas Schneidendes und Trauriges zugleich. »So, wie ich nur irgend jemandem vertrauen kann.«
* * *
Drei Tage vergingen, in denen Matteo auf die Ankunft seiner Jordaini-Brüder wartete. Die meiste Zeit verbrachte er in der Tempelbibliothek, studierte Karten und las über die Geschichte des Dschungels von Mhair. Die übrige Zeit verwendete er darauf zu lernen, wie man die riesigen zahmen Echsen ritt, die die Priester in ihren Stallungen hielten – angeblich nur als Sicherheitsvorkehrung, wie die Stallburschen bei jeder Gelegenheit betonten. Die Echsen waren die einzigen Wesen, mit denen man den Dschungel durchqueren konnte. Auch wenn niemand aus dem Tempel in den Dschungel ritt, wie ihm nachdrücklich erklärt wurde, war die erforderliche Anzahl an Reittieren vorhanden, wenn man sie doch einmal brauchen sollte.
Schließlich verkündete das Glockenspiel die Ankunft von Gästen. Matteo eilte zum Tor, um seine Freunde zu begrüßen.
Themo war ein Berg von einem Mann, sein rundes, gutgelauntes Gesicht wirkte wie das eines listigen Jungen, und sein Temperament paßte exakt dazu. Er war zwar so alt wie Matteo, doch wiederholte Verstöße gegen Jordaini-Regeln hatten Themo gezwungen, die fünfte Stufe zu wiederholen, ehe er ein vollwertiger Ratgeber werden konnte. Matteo nahm an, daß es Themos Herz nicht gebrochen hätte, wenn ihm diese Ehre niemals zuteil würde, da er für das Schlachtfeld viel besser geeignet war als für eine Ratskammer. Iago war ein schlanker, dunkler Mann mit den verschlossenen Augen eines Weisen. Er zählte zudem zu den besten Strategen, die das Jordaini-Kolleg jemals hervorgebracht hatte, und war ein Meister auf dem Pferd.
Iago war auch in Kivas Fänge geraten, und er hatte fast genauso viel Grund wie Andris, Rachegelüste zu empfinden. Er hörte sich Matteos Schilderung an und war sofort der Ansicht, Andris müsse die Verfolgung von Kiva aufgenommen haben. Themo war einfach nur bereit, sich auf dieses Abenteuer zu begeben, das auch ein völlig anderes hätte sein können.
Der Hohepriester brachte sie zum Seitentor, wünschte ihnen Erfolg und ermahnte sie, über die Geschehnisse zu schweigen.
»Erfolg«, murmelte Themo später und stieg mindestens zum fünften Mal auf seine Reitechse. »Wenn ich vor Sonnenuntergang nur noch zweimal von diesem schleimigen Pferdeersatz falle, dann wird es ein guter Tag gewesen sein.«
»Wärst du lieber wieder daheim im Kolleg?« fragte Iago.
Themo wirkte überrascht. »Bei den neun Höllen! Kann ein Mann nicht mal laut klagen, nur weil er so gerne seine Stimme hört?«
»Ein Mann kann das, ein Jordain sollte es nicht. Der Geist eines Mannes bemißt sich an der Entfernung zwischen Tortur und Abenteuer«, zitierte Iago ein vertrautes Sprichwort.
»Das Kolleg ist meine Tortur«, grollte Themo. »Was das Abenteuer angeht, hätte ich euch beide gern in Akhlaurs Sumpf begleitet.«
»Hättest du nicht«, sagte Iago mit ruhiger Gewißheit. »Bedenke, was Andris geschah.«
Der Hüne reagierte mit einem Schulterzucken. »Armer Kerl. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es Spaß macht, als Glasskulptur durchs Leben zu gehen. Die Leute werden zögern, ehe sie ihm einen Schlag verpassen.«
»Spar dir dein Mitgefühl auf, bis wir Andris und Kiva gefunden haben«, empfahl Matteo und sprach zum ersten Mal aus, welchen Verdacht er hegte.
Iago sah ihn nachdenklich an, doch Themo sprach aus, was ihm durch den Kopf ging. »Du klingst wie der Meister der Logik und Rhetorik, Matteo. Erst das, dann das, weil das so ist und dies so ist «, sagte er einem leiernden Tonfall. »Es folgt nicht jede Sache automatisch einer
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