Rattentanz
losknisterte. Das Vordach schützte es vor dem Regen, und bald dampfte es aus einem kleinen Topf, den sie an einem Stock über die Flammen hielten. Im Topf befand sich Regenwasser, das der Polizist aus der Dach rinne der Scheune aufgefangen hatte.
Der Duft nach frisch gebrühtem Kaffee brachte Fuchs fast zur Raserei! Hätte er sie doch umgebracht heute Nacht! Er könnte jetzt da sitzen, am Feuer, heißen Kaffee schlürfen und sein Geld zählen und das Weib läge gefesselt in der Scheune und erwartete ihn! Oder war schon erledigt, je nachdem, was als Erstes getan werden musste.
»Das werdet ihr bereuen!«, zischte Fuchs.
Sie aßen und tranken Kaffee und der Irre (er musste irr sein, so wie er sich bewegte und benahm) starrte in die Flammen.
Ein großer Schweiger vor dem Herrn. Dann wird er auf seine Zun ge sicher nicht sonderlich viel Wert legen, vermutete Fuchs. Er stellte sich vor, wie er sie ihm aus dem Mund herausziehen und dann abschneiden würde. Aber dies wäre erst das harmlose Vorspiel, nur ein kleines Appetithäppchen. Der Aperitif sozusagen. Was danach kommen würde, hatte er sich die vergangenen Stunden tausendmal vorge stellt, sich dabei an seiner Fantasie gewärmt wie die da an ihrem Lagerfeuer und erregt. Die Vorstellung von dem, was bald kommen wür de, hatte Fuchs diese Nacht überleben lassen. Der Gedanke an sein Geld und an das Winseln und Betteln des Bullen − das hatte ihn gewärmt.
»Du wirst dir bald wünschen, Ritter hätte dich in der Bank erledigt! Dann wäre dir viel erspart geblieben. Und du, du kleines Flittchen, du wirst dir wünschen, mein kleiner Steinschlag hätte dich erledigt. Es wird wie Weihnachten, ihr Lieben, jeder darf sich was wünschen. Aber nur meine Wünsche werden erfüllt.«
Eva, Thomas und Beck verließen die Scheune erst kurz nach acht. Eva sagte kein Wort. Nur noch drei Kilometer lagen zwischen ihr und Lea. Aber fast schien es, als ob sie am liebsten hier geblieben wäre, im Trockenen, mit einem Dach über dem Kopf und einem kleinen Feuer, das ihr die Kälte aus den Knochen trieb. Sie hatte Angst vor dem, was in Wellendingen auf sie wartete. Was sie in den vergangenen Tagen hat te erleben müssen, zeigte die Zerbrechlichkeit aller sogenannten Si cherheit. Wie sicher war ihre kleine Welt in Wellendingen? Gab es Nachricht von Hans? Wie ging es Lea?
Schließlich packten sie ihre Habseligkeiten zusammen. Eva besaß eine ganze Rolle Müllsäcke auf dem Handwagen. Drei zerrissen sie so, dass sich Kapuzen formten und banden sie sich mit einem Strick unter dem Kinn zusammen.
Sie waren noch keine hundert Meter entfernt, als Fuchs aus dem Wald stürzte und in den säuberlich ausgetretenen und mit Wasser über gossenen Überresten des Feuers nach einem letzten Rest der Wär me suchte, die es bis eben noch verströmt hatte. Er fand einige verkohl te Holzstücke, ohne Glut und nass, aber sie dampften und er schloss die Augen. Wärme sickerte langsam durch seine Hände zurück in den Körper.
Der Feldweg mündete in ein schmales Sträßchen. Sie überquerten die Straße. Thomas half Eva beim Ziehen ihres Handwagens. Obwohl Becks Hände keine Anstalten machten sich zu entzünden, bestand Eva darauf, dass Beck die Deichsel erst wieder nehmen dürfte, wenn es berg ab ginge.
»Glaubst du das wirklich?« Eva hielt Becks Ausführungen für ziemlich weit hergeholt, Zweckoptimismus, wenn man es positiv sah, mehr auf keinen Fall.
Beck hatte gerade die Ansicht vertreten, dass diese ganze Katastrophe vielleicht sogar eine Chance sein konnte. Und zwar eine Chance, sich wieder auf das Wesentliche des Menschseins zu konzentrieren. Worin dieses Wesentliche bestand, erfuhr sie nicht.
»Vielleicht zeigt das den Mächtigen einmal, dass nicht alles nach unserem Willen funktioniert, dass plötzlich alles, wofür man ein Leben lang gerackert hat, für die Katz sein kann. Wichtig wäre nur, dass diese Erfahrung auch Konsequenzen nach sich zieht. Denn sollten wir nach diesem ganzen Theater irgendwann wieder genauso weitermachen wie vor der Katastrophe, dann …« Er brach mitten im Satz ab, ging plötzlich langsamer und blieb schließlich ganz stehen.
»Was dann?« Aber eine Antwort war schon nicht mehr nötig. Eva sah die Antwort.
In spitzem Winkel zu ihrem Weg und genau in der Richtung, in der sich Wellendingen befand, lag die Erde in einem breiten Graben aufgeworfen, herausgekratzt geradezu, als habe ein wandernder Riese mit seinem Spazierstock einen Strich in die Landschaft gezogen. Und
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