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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Welt war (eine seiner liebsten Wortkreationen), erkannte er mit dem ersten Blick in dessen Augen. Welche Rolle Thomas aber zukünftig noch in Kiefers Leben spielen sollte, konnte in diesem Moment noch niemand ahnen, am wenigsten Martin Kiefer.
    Unangenehm berührt hatte er die Ratssitzung verlassen. Vor dem Haus hatte er dann noch einen Moment ausgeharrt, den klaren Abend himmel geprüft und sich mit einem Lächeln auf den Lippen zu Bubi aufgemacht, denn eben hatte er Eva schon zum zweiten Mal an diesem Tag gesehen.
    Als Bubi ihm öffnete, konnte er am Küchentisch Lea Seger und Susanne erkennen.
    »Lea ist hier?«
    »Wo sollte sie sonst sein?«, antwortete Bubi. »So lange Eva noch mit dem Verletzten beschäftigt ist, schläft Lea bei uns.«
    »Sie schläft bei euch …« Kiefer starrte ins Leere. »Und Eva geht nach dem Treffen sicher wieder mit ins Pfarrhaus …«
    »Genauso wird es wohl sein«, hatte Bubi gesagt. Er wollte sein Gewehr holen, um anschließend mit seinem Freund in die Nacht hinaus zugehen. Bubi konnte noch immer nicht richtig fassen, was sich für ihn durch Kiefer alles geändert hatte. Und was sich in der Zukunft noch alles ändern würde. Bubi hatte zum ersten Mal ein Ziel, jemanden, der ihn an der Hand nahm und diesem Ziel näher brachte. Dass dieses Ziel aber in fast allen Punkten dem widersprach, was Frieder und Susanne Faust an Erziehung investiert hatten, störte dabei wenig, denn Kiefers Vision von einer Gesellschaft des Stärkeren übte auf Bubi eine eigentümliche Anziehung aus.
    »Bring Leas Hausschlüssel mit«, sagte Kiefer.
    »Ich soll was?«
    »Du hast schon verstanden. Ich erklär es dir später. Beeil dich, ich warte hier.«
    Eine halbe Stunde vor Mitternacht, Faust lag im Schulhof und wein te, während Eva Seger die Stirn des Polizisten kühlte, standen Martin Kiefer und Bubi Faust vor Eva Segers Haus.
    »Du bleibst hier«, lautete Kiefers Instruktion für Bubi. »Wenn jemand kommt, klopfst du drei Mal gegen die Haustür und versteckst dich, verstanden?« Bubi nickte. Natürlich hatte er verstanden und natürlich würde er hier warten, wie befohlen. Aber trotzdem begriff er nicht, warum Kiefer unbedingt in Segers Haus wollte. Was hatte er da drin verloren, was interessierte ihn so brennend? Auf seine Frage hatte Kiefer nur gelächelt. »Irgendwann wirst du es verstehen, Bubi. Und bis dahin tu einfach, um was ich dich bitte.«
    Ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen ging Kiefer ganz selbstverständlich zur Eingangstür, steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete. Alles war so leicht. Lea hatte ihren Schlüssel auf den Herd in Fausts Küche gelegt, Bubi brauchte ihn nur nehmen und später wieder dort ablegen und keiner würde jemals etwas von diesem kleinen Ausflug erfahren.
    Es gab keinen Grund sich vorzusehen, das Dorf schlief.
    Kiefer zögerte einen Moment, als wolle er sich diesen besonderen Augenblick bewusst machen, dann trat er ein. Die Tür fiel leise hinter ihm ins Schloss und Martin Kiefer stand endlich in ihrem Haus. Er war bei Eva, bei seiner Frau. Und das Schönste daran: Hans Seger konn te rein gar nichts dagegen unternehmen!
    Es war kühl und stockfinstere Nacht. Kiefers Taschenlampe flammte auf.
    An den Wänden hingen Zeichnungen von ihrem Balg, buntes Geschmiere. Mit krakeliger Schrift hatte die an den dümmsten Stellen MAMA und PAPA und LEA auf ihre Werke gekritzelt und Eva oder Hans in eine der unteren Ecken das Datum, an dem diese Meisterwer ke entstanden waren. Er stieß mit der Fußspitze eine angelehnte Tür auf – die Küche. Auf dem Küchentisch lagen zerrissene Zeitungen – Toilettenpapierersatz. Am Kühlschrank schon wieder Leas Schmierereien. Er sah sich um und ging zur nächsten Tür. Nur das Wohnzimmer.
    Ihr Schlafzimmer musste oben liegen, natürlich.
    Kiefer stieg die Holztreppe hinauf. Die Tür, auf der mit farbigen Holzbuchstaben LEA stand, ignorierte er und öffnete eine andere – das Bad. Dies war also der Spiegel, vor dem sie damals posierte, als er sie heimlich fotografiert hatte. Er betrachtete sich selbst im Spiegel. Der Dreitagebart stand ihm gut, fand er, besonders in Kombination mit seinem Maschinengewehr. Er lächelte sich zu.
    Hinter der letzten Tür verbarg sich endlich, wonach er gesucht hat te – ihr Schlafzimmer. Er trat ein, schloss die Tür hinter sich und lehnte sich an sie, als wolle er allein sein und auf keinen Fall gestört werden. Vor ihm stand ein breites Bett, dort ein riesiger Kleiderschrank und gegenüber eine Kommode

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