Rattentanz
fassen, wollte aufstehen und fliehen, aber seine Beine versagten und er klappte zusammen wie nach einem Schlaganfall.
Susanne hielt es nicht mehr aus. Ihr Mann, beziehungsweise das, was man ihr als ihren Mann ins Bett gelegt hatte, saß vor ihr auf dem Boden und schlug mit der Taschenlampe um sich. Immer wieder schlug er zu. Er schrie um Hilfe, winselte, flehte sie an, die Dinger wegzunehmen. Sie hielt die Angst in seiner Stimme nicht mehr aus. So kannte sie ihn nicht. Er sollte schweigen und sich wieder ins Bett le gen. Dass er nicht mehr aussah wie der Mann, mit dem sie verheiratet war, konnte sie irgendwie ertragen, diese Schreie nicht.
So verhält sich kein Frieder Faust. So nicht!
Sie riss die Tür auf und stolperte direkt in Evas Arme. Die war vor wenigen Minuten gekommen, um Susanne abzulösen. Der Lärm, den Frieder machte, hatte sie nach oben gerufen, ein paar Sekunden später stürzte Bubi aus seinem Zimmer, in fleckigen Unterhosen und mit dem Gewehr in der Hand. Die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Überfall? Ist der Strom wieder da?
Faust krabbelte aus seinem Schlafzimmer. Er hatte Angst. Sie wollten ihn töten! Wieder und wieder sah er sich um. Zum Schluss warf er die Taschenlampe auf eine Schar gelbe Monster, winzige eklige We sen, die sich nur ihrem Opfer zu erkennen gaben. Immer mehr von ih nen krochen unter dem Bett hervor, selbst in der noch warmen Decke, mit der man ihn gefesselt hatte, musste ein Nest dieser Ungeheuer sein – sie marschierten in einem endlosen Band aus seiner Decke und fielen auf den Boden. Das leise Knacken ihrer Panzer, das Klappern der Scherenfühler und ihr Zirpen und Summen, mit dem sie sich unterhielten, trieb Faust in die Arme des Wahnsinns. Die Lampe lag im Zimmer und die Tiere kletterten darüber hinweg, kamen näher und näher.
Er trat nach ihnen, versuchte, vor ihnen zu fliehen. Zentimeter um Zentimeter zog er sich zurück und kam dabei der Treppe gefährlich nahe. Eva hielt Susanne im Arm. Susanne zitterte. Sie hatte Angst vor Frieder, vor einer Zukunft mit ihm, aber auch vor einer Zukunft ohne ihren Mann.
Frieder hatte die erste Stufe fast erreicht – nur noch wenige Millimeter und seine Hände mussten ins Leere greifen. Endlich reagierte Bubi. Er legte die Waffe auf den Boden, packte seinen Vater am Fuß und zog ihn zurück. Faust schrie, schlug um sich. Warum zerrte ihn der Mann zurück zu den Monstern? Was taten sie nur, was hatte er ihnen nur getan, dass sie solchen Hass verspürten und ihn diesen ekelhaften Kreaturen auslieferten? Er trat mit dem freien Bein nach seinem Sohn und traf Bubi an der Schulter. Gleich hatte er es geschafft, nur noch ein gut gezielter Tritt und der Mann würde zwischen die gelben Wesen stürzen. Faust strampelte, aber Bubi war auf der Hut und wich den Tritten seines Vaters aus.
»Mutter. Bring mir irgendwas zum Fesseln!«
Susanne schluchzte an Evas Schulter. Unfähig zu einer Bewegung klammerte sie sich an die Frau. Sie wollte ihren Sohn nicht hören.
»Hast du gehört! Einen Bademantelgürtel. Los, egal was!«
Eva löste Susannes Umarmung und schob sie in Bubis Zimmer. Dann rannte sie ins Bad, zog die Gürtel aus den dort hängenden Bademänteln und warf sie Bubi zu.
»Hilf mir. Ich schaff es nicht allein!« Bubi hatte beide Füße seines Vaters zu fassen bekommen und sich zwischen die Beine geklemmt. Aber Faust gab nicht auf. Die Angst um sein Leben und das völlige Un verständnis der ganzen Situation gegenüber verliehen ihm Kräfte, die seinem Gesundheitszustand in keiner Weise entsprachen. Seine Augen, schreckensweit, glühten vor Fieber und Angst.
»Komm her und binde die Beine zusammen.«
Faust schrie, als er die Fessel spürte. Seine Stimme hatte nichts mehr mit der Stimme zu tun, die Bubi großgezogen hatte; diese Stim me war ein tiefes, kehliges Brüllen, mehr Tier denn Mensch.
Eva knotete beide Beine zusammen. Sie konzentrierte sich auf den Knoten, der unbedingt halten musste, Bubi brauchte all seine Kraft, um gegen den Vater zu bestehen.
Faust richtete seinen Oberkörper auf. Sein Gesicht war eine Maske. Er packte Eva an den Haaren und riss sie von den Füßen. Sie stolperte über Faust und fiel ihm auf die Brust.
»Bleib so!« Bubi kämpfte, bekam die Linke seines Vaters zu packen und wickelte den Gürtel um dessen Handgelenk. Faust aber zerrte an Evas Haaren und versuchte, das Gewicht von seinem Körper zu werfen. Aber all seine Gegenwehr half nicht: Bubi fesselte ihm die Hände auf dem
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