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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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mit kaltem Wasser und packten ihn anschließend wie ein Baby in dicke Decken. Kurz darauf erschienen Bubi und Kiefer.
    Die Unruhe im Dorf war den beiden nicht verborgen geblieben. Kiefer nahm Fuchs daraufhin in den Arm, flüsterte ihm etwas ins Ohr und lachte. Fuchs strahlte! Sie ließen Fuchs laufen und verabredeten sich mit ihm für den nächsten Abend.
    Als sie eintrafen, schickte Eva ihren ersten Mann zum Pfarrer, so ernst nahm sie Fausts Zustand. Bubi wollte Kiefer begleiten. Als sie am Gasthaus vorbeikamen, blieb Kiefer stehen. »Schaffst du doch auch allein, oder?«
    Bubi nickte.
    »Hab keine Lust, wieder mit zurückzukommen.«
    »Wegen Eva?«
    »Genau. Also, wir sehen uns morgen.«
    Bubis Verhältnis zu seinem Vater war gespaltener Natur. Früher einmal hatte er ihn rückhaltlos geliebt und bewundert, je älter er selbst aber wurde und sich zu einem Mann entwickelte, desto schwieriger war ihre Beziehung geworden. Bubi wusste, dass sein Vater anderes von ihm erwartete. Er sollte Handwerker werden, so wie er. Er sollte sich ein Haus bauen wie er und er sollte ein mindestens ebenso langweiliges und normales Kleinbürgerdasein fristen wie sein Vater. Aber Bubi wollte mehr und die Katastrophe bot nun endlich auch die Möglichkeit zu diesem mehr. Dank Martin Kiefer.
    Als Bubi mit dem Pfarrer im Elternhaus eintraf, empfing ihn seine Mutter. Sie saß zusammen mit Thomas am Küchentisch, zwischen ihnen brannte eine Kerze. Als sie Bubi sah, ging sie ihm entgegen und nahm ihn in den Arm.
    »Thomas hat Papa gefunden. Stell dir vor, er lag die ganze Zeit im Kräutergarten der alten Teufel.«
    Er wand sich aus ihrem Arm.
    »Wo ist er jetzt?«
    »Oben. Eva ist bei ihm.«
    Frieder Faust war in den vierundzwanzig Stunden, die er allein und unter freiem Himmel zugebracht hatte, um Jahre gealtert. Der fehlende Alkohol hatte seinen kräftigen Körper in ein zitterndes Etwas verwandelt, aus dessen Öffnungen giftige Ausscheidungen sickerten. Immer wieder erbrach er sich und würgte grünen Schleim auf das wei ße Betttuch. Jeder Tropfen Urin, den seine Nieren produzierten, tröpfelte sofort aus ihm heraus, als gäbe es in ihm keine Blase mehr. Als sie ihn gefunden hatten, war sein Gesäß von Kot verkrustet gewesen.
    Bubi ging zu seinem Vater. Er setzte sich auf einen Stuhl neben Fausts Bett. Einen Moment spürte er den Wunsch, dessen Hand zu neh men. Diese Hand war das Einzige, das neben dem Gesicht aus dem Wust an Decken und Tüchern herausragte. Aber Bubi überwand diesen Wunsch und leuchtete seinem Vater nur kurz ins Gesicht. Bubi erschrak bei seinem Anblick. Eingefallene Wangen und Falten, die sich über Nacht in tiefe Furchen verwandelt hatten, zeigten einen alten Mann. Vor ihm lag ein Kranker, unrasiert und mit schweißnassen Haa ren, die fremd wirkten, wie auf den Kopf geklebt. Augen rasten un ter geschlossenen Lidern wild umher und aus einem Mundwinkel tropfte Speichel.
    Eva hatte Faust auf die Seite gelegt, damit er, sollte er sich wieder übergeben, das Zeug nicht in die Lunge bekam. »Wahrscheinlich«, erklärte sie später Bubi und Susanne, »hat er aber schon was davon abbekommen.« Sie hatte ihr Ohr auf seinen Brustkorb gelegt und ihr Blick war noch ernster geworden. »Sobald er wach wird und etwas schlucken kann, muss er Antibiotika nehmen, sonst bekommt er eine Lungenentzündung.« Faust hatte vierundzwanzig Stunden schutzlos und halbnackt im Freien gelegen, seine Stirn glühte. Er fieberte. In seinem Inneren tobte ein Kampf, der sein Blut auf mehr als vierzig Grad aufgeheizt hatte, schätzte Eva. Wer den Kampf letztendlich gewinnen sollte, wusste auch sie nicht.
    Bubi blieb bei seinem Vater, während die anderen in der Küche beratschlagten. Die Gesellschaft seines (vielleicht) sterbenden Vaters war ihm angenehmer als das Geschwätz der Frauen und des Pfarrers. Er wollte nichts von ihren Zukunftsängsten hören, auf die der Pfarrer im mer gleich mit Gottes Plan antwortete und er wollte nicht in Evas Nähe sein. Seit er wusste, dass Kiefer noch immer hinter ihr her war und sich Bubis Glück erst dann erfüllen konnte, wenn Kiefer diese Frau bekam, fühlte er sich ihr gegenüber schuldig. Im Nachbarhaus schlief Lea. Um sie tat es ihm leid, wenn er daran dachte, dass Kiefer irgendwann ihre Mutter holen würde. Aber, mein Gott, was konnte er dagegen tun? Er musste sich zwischen Eva und sich selbst entschei den, eine verdammte Wahl. Aber, wenn er ehrlich war, er hatte sich längst entschieden. Nur Lea tat ihm leid.

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