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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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sie an sich und redete leise auf sie ein. Nach einer Ewigkeit, wie er meinte, tat seine sonore Stimme ihre Wirkung, die Kraft schien Lea zu verlassen. Ihre Schreie gingen in ein Schluchzen über. Sie legte ihren Kopf auf die Schulter des fremden Mannes, ihre Tränen durchnässten sein Hemd.
    »Alle suchen nach ihr, meine kleine Lea. Sie werden deine Mama finden und dir wieder zurückbringen.« Hoffentlich, dachte er. Hoffentlich wird sie gefunden und hoffentlich ist ihr nichts passiert. Plötzlich sprang Lea von Assauers Schoß.
    »Ich will auch nach Mama suchen!«, rief sie und rannte aus dem Zim mer. Ehe Assauer recht begriff, was sie tat und vom Sofa hochkam – die Schmerzen in seinem Rücken wurden von Tag zu Tag schlimmer – war sie schon an der Haustür und verschwunden. Assauer folgte ihr und sah gerade noch, wie das Kind über die Straße rannte und im Stall verschwand. Es war inzwischen fast dunkel, aber ihr weißes Nachthemd leuchtete wie ein Wegweiser.
    »Lea! Bleib hier!«
    Hinter Assauer erschien Thomas in der Tür.
    Nach Evas Verschwinden hatte er sich geweigert, wieder mit zurück ins Pfarrhaus zu kommen. Weder der Pfarrer noch seine Haushälterin hatten ihn überreden können und schließlich willigte Assauer ein und Thomas konnte bleiben. Thomas musste bei Lea bleiben! Auch ohne Nummer zwei’s Ratschläge hätte er gewusst, dass dies das Richtige war. Als Assauer mit Thomas’ Engel ins Nachbarhaus ging, trottete er ihnen hinterher und schlief wenig später am Küchentisch ein; Hildegund Teufels Tod und die Beerdigung hatten ihn erschöpft. Und Leas Schreie und Assauers Rufe jetzt wieder geweckt.
    »Lea will ihre Mutter suchen und ist in den Stall hinübergerannt.«
    Mehr musste Thomas nicht hören. Seine schwarze Aktentasche fest unter den Arm geklemmt, folgte er der Kleinen. Niemand durfte dem Engel etwas antun. Und außer ihm war niemand hier, der auf sie auf-passen konnte. Während er über die Straße rannte, durchwühlte er seine Hosentaschen und fand die kleine Dose aus Hildegund Teufels Schlafzimmer. Er war gewappnet. Weder dem kleinen Engel noch ihm konnte etwas geschehen!
    Thomas rannte zum Stall. Der Duft dampfender Kuhleiber, vermischt mit dem Geruch von Stroh und Dung, hing in der Sommernacht. Die Tiere im Stall stampften. Ihre Ketten klirrten, während einige von ihnen ihren Unwillen hinausbrummten. An der Stalltür blieb Thomas stehen.
    Erst des Teufels Großmutter, dann unser kleiner Engel. Und bald, seeehr baaald sind auch wir endlich an der Reihe. Vielleicht noch in die- ser heiligen Sommernacht, sie ist wie gemacht für unser Ende. Komm, beeilen wir uns. Wir müssen die nächsten sein und dann kommt der kleine Engel erst dran. So finden wir vielleicht zwischen Engel und Teu- fel unsere letzte Ruhestätte.
    Thomas trat in den Stall. Nirgends konnte er das Kind entdecken. Assauer, der ihm gefolgt war, zeigte in den Hof hinunter. »Ich gehe nach hinten, du durch den Stall. Sie muss hier irgendwo stecken.«
    Thomas ging weiter. Es wurde noch dunkler und nur mit Mühe konnte er die dunklen Leiber der Tiere erkennen.
    Das Schattenreich, stöhnte Nummer drei.
    Seine Aufregung sprang auf Thomas über, aber während die Stimme in ihm von der Aussicht auf ein baldiges Ende überwältigt wurde, klopfte in Thomas’ Kehle die Angst um Lea. Er tastete sich durch den Stall auf das weit offen stehende zweiflügelige Tor am anderen Ende zu. Wie ein Bild aus Blauschattierungen mit schwarzen Akzenten und einem letzten, kaum noch wahrnehmbaren Hauch rosa hing es vor seinen Augen und wurde mit jedem Schritt darauf zu ein wenig größer. Die Tiere betrachteten den späten Besucher, der wie ein Schlafwandler mit ausgestrecktem Arm zwischen ihnen hindurchschritt. Thomas spürte seine Tasche und die Kontur der Thermoskanne, die ausgestreckte Hand hielt die Dose mit Hildegund Teufels Haaren. Er erreichte das Tor und wurde Teil des immer dunkler werdenden Bildes. Plötzlich hörte er den kleinen Engel dicht neben sich schreien. Im selben Moment fiel etwas Schweres ganz in der Nähe zu Boden und ein Mann fluchte.
    »Gottverdammte Scheiße, elende!«
    Jaaa, das ist es: eine wundervolle, gottverdammte Scheiße! Und wir mitten drin!
    Auch Bubi, der sich von Georg Sattlers Haus her näherte, hörte Leas Schreie, für Fuchs’ Flüche war er noch zu weit entfernt. Bubi hatte wie befohlen in Sattlers Haus gewartet. Von hier aus konn te er die beiden Suchtrupps in entgegengesetzten Richtungen aus dem Dorf

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