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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Silvia wuchtete er den Aufleger von Hans’ Schlitten auf den Pferderücken.
    »Pah, dann geht eben. Dem, was kommen wird, dem kann eure billige Gesellschaft doch keine Konkurrenz machen!« Der Fremde spuck te auf den Boden, dann rannte er zurück auf den Damm. Wenige Minuten später war er bereits wieder völlig in seiner Arbeit versunken.
    »Den sollte man einsperren!«, sagte Malow.
    »Sollte man«, sagte Hans. »Typen wie der machen es noch schwerer, zum Alten zurückzukehren. Wenn in einem halben Jahr irgendein findiger Nobelpreisträger den Schalter wieder umlegt, ist wahrschein lich nichts mehr da, was funktioniert.«
    Malow und Silvia beeilten sich. Sie packten ihre Sachen zusammen und luden sie auf Schlitten und Pferd. Immer wieder warfen sie einen Blick hinüber zum Glücklichsten Mann der Welt, aber der schien sie längst vergessen zu haben. Schon kletterte er wieder in seinen Lkw und warf ein weiteres halbes Dutzend Päckchen auf den Damm.
    »Wollen wir wirklich einfach abhauen?« Silvia, die gerade Hans’
    Unterlage abpolsterte, hielt mitten in der Bewegung inne. Sie versuchte sich die Wucht der bevorstehenden Explosion vorzustellen, die Flutwelle und das Leid, welche diese Flut den ohnehin schon leidenden Menschen bringen musste.
    »Abhauen ist das Beste«, sagte Malow. »Der Typ ist völlig irre. Der bringt es fertig und sprengt uns alle in die Luft.«
    Silvia sah zu Larissa herüber. Hans hielt sie auf seinem Schoß und kitzelte sie abwechselnd rechts und links am Hals. Silvia kam das Wort Verantwortung in den Sinn. Natürlich, sie war Larissas Mutter und so mit automatisch für ihr Kind verantwortlich. Aber war damit dieses Thema schon erschöpft? Die Zeit von Recht und Ordnung und zuständigen Beamten, die Verrückte wie den auf der Staumauer aus dem Verkehr zogen, existierte nicht mehr. Jeder war sich selbst der Nächste, jeder war aber auch ausschließlich für sich und das, was er tat oder auch nicht tat, verantwortlich.
    Die Flutwelle und das Geröll, das sie mit sich reißen musste, würden flussabwärts verheerende Folgen haben.
    »Gib mir das Gewehr!« Silvia hatte einen Entschluss gefasst.
    »Wie bitte?«
    »Das Gewehr. Ihr achtet bitte auf die Kleine, während ich zu dem Kerl gehe und ihn zwinge, und ihn zwinge …«
    »Zu was willst du ihn zwingen, Mädchen? Wenn du dich schon mit so einem anlegen willst, solltest du wenigstens einen Plan im Kopf ha ben.« Malow warf dem Schwarzen den halb leeren Kartoffelsack auf den Rücken.
    »Aber sie hat recht«, sagte Hans. »Kannst du jetzt einfach so weiterziehen? Mit dem Wissen um den da und das, was er plant?«
    »Ja, kann ich.« Malow klang wütend. Er wollte weg von hier. Dies war kein guter Ort. Obwohl rein äußerlich alles anders war, fühlte er sich doch ständig an die Kiesgrube und den einstürzenden Schrottberg erinnert. Selbstverständlich sollte man etwas tun, aber war er et wa der Retter der Welt? Nein, war er nicht und wenn er die Dammsprengung jetzt verhinderte, würde es in zwei Wochen wahrscheinlich der nächste Verrückte probieren. Überall standen Bauwerke, die nach Zerstörung gierten – Dämme, Brücken, Treibstofflager. Und Spreng stoff und Munition befanden sich längst nicht mehr unter Verschluss; jeder, der wusste, wo er zu suchen hatte oder einfach nur darüber stolperte, konnte sich alles Nötige problemlos besorgen. Lag buchstäblich auf der Straße, das Zeug.
    »Okay. Einer von uns geht also zu ihm auf den Damm und knallt ihn ab. Guckt nicht so – das ist es doch, was getan werden muss, oder? Wir können ihn nirgendwo einsperren, keiner staatlichen Gewalt über geben oder all den Blödsinn. Wenn wir verhindern wollen, was auch immer er plant, muss er getötet werden, so einfach ist das.«
    »Aber wir müssen doch etwas unternehmen!«, sagte Silvia. Ihre riesigen Augen wanderten hinter dicken Brillengläsern hin und her.
    »Malow hat recht«, sagte Hans. »Wir können es nun mal nicht regnen lassen, ohne dabei selbst nass zu werden. Die Frage ist nur, können wir damit leben, wenn wir den dort, ähh …«
    »Töten.«
    »Ja!«, rief Silvia und die Festigkeit in ihrer Stimme überraschte.
    »Lieber so als die Schuld an dem tragen, was der Kerl sonst noch alles anrichtet.«
    »Jetzt hör mir einmal gut zu, junge Frau.« Malow tätschelte den Hals des Pferdes, dann baute er sich vor Silvia auf. »Wir werden noch viele Verrückte treffen. Vielleicht ist das jetzt ihre Welt. Jeder kann tun und lassen, was er will, sei es

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