Rattentanz
Plan: Eva würde freiwillig zu ihm kommen! Und das ganze Dorf sollte es sehen! Roland Basler sollte dabei zu seinem Werkzeug werden, mit Baslers Hilfe würde er Eva endlich wieder besitzen. Kiefer sah, wie ein Vorhang zur Seite geschoben wurde und Rikes Gesicht, kurz darauf Basler erschien.
»Bist du’s wirklich?« Basler starrte Kiefer an. Kiefer nickte. »Geh nach vorn. Aber pass auf, dass dich niemand sieht«, zischte Basler und schloss sofort wieder das Fenster.
»Wer soll mich um diese Zeit sehen«, murmelte Kiefer und ging zur Haustür. Dort wartete bereits Basler. Er hatte die Tür nur wenig ge öffnet und die Kette eingehängt gelassen. Seit Kiefers Flucht aus Wellendingen hatte er Kiefer nicht mehr gesehen.
»Willst du mich nicht reinlassen, Roland?«
»Warum sollte ich? Und nach dem, was du dir mit Eva erlaubt hast, weiß ich sowieso nicht mehr, was ich von dir halten soll.« Basler trug einen viel zu warmen Bademantel. Er roch nach Schlaf und Parfüm, welches seit einiger Zeit die gewohnte Dusche am Abend ersetzte, da ihm der Weg zum Bach zu weit war.
Kiefer nahm seinen schweren Rucksack ab. »Vielleicht um der alten Zeiten willen? Wir haben schließlich gemeinsam einiges auf die Beine gestellt, oder?«
»Kann schon sein. Aber bei der Sache mit Eva bist du eindeutig übers Ziel hinausgeschossen.«
»Dein gutes Recht, das so zu sehen«, sagte Kiefer und grinste übers ganze Gesicht. »Ich allerdings sehe das anders. Aber wahrscheinlich würde man im Dorf auch manche Kleinigkeit aus deiner – oder soll ich sagen, unserer Vergangenheit – anders sehen als du. Und ich.«
»Willst du mir drohen?«
»Ich doch nicht.« Kiefer bückte sich nach seinem Rucksack. »Ich wollte nur mal wieder vorbeischauen. Und dir ein kleines Geschäft vorschlagen.« Er öffnete den Rucksack und hielt ihn Basler hin. Basler versuchte, etwas zu erkennen, griff schließlich in den Rucksack. Was er spürte, ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Schnell öffnete er die Tür, zog Kiefer in sein Haus, vergewisserte sich, dass sie nicht beobachtet wurden und verriegelte hinter sich die Tür.
»Was hast du da? Ist es das, was …«
»Natürlich ist es das! Glaubst du, ich vergesse einen Freund?« Rike kam mit einer schwachen Taschenlampe. Was Kiefer aus seinem Rucksack auf den Wohnzimmerteppich schüttete, verschlug ihr die Sprache: eine Salami, zwei Fleischkonserven, zwei Gläser eingewecktes Obst aus Sattlers Altbestand und eine Packung Zwieback.
Basler und seine Frau knieten auf dem Boden und strichen fast zärtlich über die Lebensmittel. Sie hatten seit zwei Tagen nichts Richtiges mehr zu sich genommen. Nichts hielt ewig, selbst ihre Vorräte hatten sich erschöpft. Aber noch waren sie zu stolz, um Hilfe zu bitten, zu stolz, um zu arbeiten.
»Mein Gott! Martin, wo hast du all die Sachen her?« Frederike Bas-ler hatte bereits ein Glas Birnen geöffnet und aß mit bloßen Fingern. Saft tropfte ihr vom Kinn in den Schoß.
»Ist doch egal, wo das Zeug her ist, oder? Wichtig ist nur, dass du es jetzt hast.«
Basler biss in die Salami. Mit vollem Mund fragte er: »Gibt’s davon noch mehr?«
»Dort, wo ich diese Sachen herhabe, gibt es noch reichlich. Wenn wir zwei uns vielleicht unter vier Augen unterhalten könnten und du mir demnächst einen kleinen Gefallen tust, zeig ich euch, wo das Schla raffenland liegt.«
»Einen Gefallen? Klar. Alles, was du willst!«
Als Martin Kiefer eine Stunde später Baslers Haus verließ, sah er sehr zufrieden aus. Im Osten versprach zartes Licht einen herrlichen Tag. Kiefers Rucksack war federleicht, Lebensmittel in Zeiten des Hun gers waren das perfekte Zahlungsmittel. Mit Lebensmitteln konn te man heutzutage beinahe alles kaufen. Er hatte soeben Basler gekauft und ihm obendrein auch noch über eine Woche Zeit geschenkt, sich auf Frieder Fausts hinterhältigen Plan zu Baslers Absetzung vorzubereiten. Basler hatte sich als sehr dankbar erwiesen. Kiefer schlich an Sutters Haus vorbei. Lorenz und Petra Sutter und ihre beiden Kinder Jessika und Marvin schliefen tief. Petra Sutter war die zweite Schwangere im Ort. In dieser Nacht spürte sie zum ersten Mal, wie sich das Kind in ihr bewegte. Aber Martin Kiefer wusste we der von dieser noch von der anderen Schwangerschaft im Dorf.
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26. Juni bis 20. Juli, Bleilochtalsperre – Wellendingen
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Zweieinhalb Wochen waren seit ihrer Rettung an der Bleilochtalsperre vergangen. Was genau den Ausschlag dafür gegeben hatte, dass man sie
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